Bis ans Ende der Welt
Frack, Damen in teueren Roben. Stück weiter wurde französischer Champagner aus Magnum Flaschen ausgeschenkt. Trotz der frühen Stunde. Ein ausländischer Sängerchor von ansehnlicher Größe harrte sprungbereit auf der Treppe. Großes stand offenbar unmittelbar vor. Ich schlich mich bescheiden davon und ohne zu klagen. Auch ich bekam hier mal den großen Hof, als ich vor Jahren in Begleitung des Abtes von Břevnov zum Mittagessen erschien. So hatte ich die Ehre schon hinter mir, und jetzt waren andere an der Reihe.
Von Andechs aus gab es gar drei Wege, die man weiter gehen konnte. Der Führer pries einen zweitägigen Umweg um den Ammersee herum wegen der Schönheit der Landschaft. Den konnte man notfalls auch mit einem historischen Raddampfer abkürzen, was mich reizte, da ich nun mal für Schiffe was übrig habe. Aber mir stand doch mehr das holde Ziel vor den Augen, und so wählte ich den kürzesten, nach Süden führenden Weg nach Wessobrunn. In dem dortigen Kloster wollte ich übernachten. Es war ja meine Absicht, solange von Kloster zu Kloster zu wandern, solange es unterwegs welche gab, und ich darin Aufnahme fand. Eigentlich war es keine eigenständige Abtei, sondern ein Ableger der Missionsschwestern von Tutzing am Starnberger See. Und ganz genau genommen, waren die Beziehungen zwischen mir und den Tutzinger Benediktinerinnen etwas ungeklärt.
Die Schwestern unterhalten weiteres Kloster in Bernried, das wie Tutzing am Seeufer liegt. Eine sehr schöne, zu Frömmigkeit inspirierende Anlage. Gewissermaßen als eine Besonderheit besitzt das Kloster einen eigenen Strand mit einem Badehaus für die Nonnen. Um der Sittlichkeit willen tritt man da nicht etwa halbbekleidet ins Wasser, wie es Normalsterbliche tun, sondern schwimmt sozusagen blicksicher durch ein raffiniert im Wasser angebrachtes Türchen direkt aus der Umkleidekabine in den See hinaus. Das fand ich stets irgendwie rührend. Oberhalb dieses Badehäuschens, auf seiner Rückseite sozusagen, lag ich oft und gerne mit dem Boot über Nacht. Die Schwester Oberin kam regelmäßig bei fast jedem Wetter nach dem Morgengebet und schwamm aus dem erwähnten Türchen mutig weit in den kalten See hinaus. Tagsüber aber wurde das Seegrundstück meist von weiblichen Hausgästen benutzt, die sich um vorsintflutliche Tugenden nicht kümmerten und in gewohnter Manier lieber „oben ohne“ badeten. Die Schwestern boten da Kurse für Frauen mit Familienproblemen an. Es war mein Lieblingsplatz. Doch nicht des müden Fleisches willen. Der Ort war sturmsicher und ausgesprochen ruhig, was sowohl mir als meinem Boot zugute kam. Die Badegäste blieben von meiner Seite aus dezent durch das Häuschen verdeckt, was mir nur recht sein konnte. Eines Tages aber stellte ich fest, daß ich beobachtet werde. Es gab Anzeichen. Menschen kamen um die Ecke, um in meiner Richtung zu sehen und zu zeigen und sich dabei angeregt zu unterhalten. Einmal lauerte sogar jemand mit einem sehr professionell anmutenden Teleobjektiv von mindestens fünfzehn Zentimeter Durchmesser hinter dem Häuschen. Wegen der Erdkrümmung konnte er damit wohl die in Starnberg aus der S-Bahn steigenden Touristen nicht mehr zählen, doch ganz bestimmt alle Pickel an meinem Hintern. Ein andermal lies sich die Schwester Oberin, zivil getarnt, bei ausgesprochen kühlem und windigem Wetter vorbeirudern, was sie sonst auch bei Sonnenschein nie tat. Der Ruderer umrundete mein Boot und notierte möglichst unauffällig den Namen am Heck und die Zulassungsnummer, bevor er dann den Rückweg antrat. Offenbar traute er seinem Gedächtnis nicht. Ich las am Fenster und konnte es durch den Vorhang gut beobachten, so kam ich hinaus und grüßte höflich. Etwas verlegen grüßte er zurück, sie verweigerte mir den christlichen Gruß. Es reichte mir. Ich kann die Schönheit der Natur ohne lästige Aufmerksamkeit besser genießen, und mied dann die Stelle, auch wenn ich es bedauerte. Nach einiger Zeit segelte ich aber nah an dem Grundstück vorbei, wo die Schwester gerade einen Sonnebad nahmen. Auf dem Wasser trägt der Schall oft weit. So hörte ich: „Jetzt ist er schon wieder da!“ – „Aber Schwester Oberin, er tut doch nichts.“ – „Macht nichts, jetzt kriegt er erst mal eine satte Strafe...“ Dem Wort „Strafe“ war dabei ein gewisser Genuß anzumerken. Aber natürlich habe ich keine Strafe bekommen und weiter von der Sache nichts gehört. Die Grundstücke mögen privat sein, doch der See ist für alle da, und der Arm
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