Bis ans Ende der Welt
Morgentoilette brauchen und das Bad blockieren. Brauchten sie aber nicht, nur ich war der umständliche Zauderer. Kaum saß ich dann am Frühstückstisch, waren sie auch alle da. Diese Leute bereiteten schon am Abend alles vor und machten sich am Morgen keine langen Umstände. Bis ich endgültig das Haus verlassen konnte, war es schon wieder halb leer.
Der Weg war heute eher langweilig. Es ging auf diversen kleinen Straßen und Pfaden hin und her. Die Höhe betrug kaum zweihundert Meter über dem Meer, und die Landschaft gab nicht viel her. Der Boden bestand meist aus Lehm, den man wegen des nächtlichen Regens an den Füßen mitzuschleppen hatte. Wenigstens gab es hier selten Kühe, also war es ziemlich sauber. Man kam häufig an Häusern vorbei. Überall sah ich Schilder, die auf Privatgrund hinwiesen, wohl um Pilger fernzuhalten. Das kam vielleicht von zu viel Armagnac. Sonst ist mir es auf dem ganzen Weg nicht oft begegnet. Im katholischen Frankreich sind Pilger, die zumeist nicht aus dem Proletariat stammen, sondern eher die besseren Kreise repräsentieren, stets willkommen oder zumindest wohlwollend geduldet. Sie sind auch ziemlich harmlos, machen weder Umstände noch Schaden, im Gegenteil, bringen noch Geld in Gegenden, die vom Tourismus sonst kaum profitieren würden, auch wenn es nicht allzu viel sein mag. Und obwohl mir die Gegend recht arm vorkam, sind da die Pilger offenbar ungern gesehen. Allerdings hatte ich noch eine Vermutung. Da die von der arbeitsuchenden Landbevölkerung verlassenen Häuser meist von wohlhabenden Großstädtern aufgekauft und als Feriensitz genützt werden, ist es auch durchaus möglich, daß diese auf Geld und Ellenbogen fixierten Stadtleute hier den Ton angeben. Auf den ganzen zwanzig Kilometern gab es keine einzige Sitzgelegenheit, weder als Kneipe noch als Bank, Mauer oder großer Stein, und wer unbedingt Pause machen wollte, hatte sich auf den nassen Weg zu hocken. Was freilich keiner tat, und ich auch nicht. So passierte ich ohne Aufenthalt den Nullmeridian, auf den ein primitives, handgemaltes Schild im Gebüsch an einem Bach hinwies. Ich befand mich also genau südlich unterhalb vom englischen Greenwich. Es überraschte mich gehörig, wie weit nach Westen ich mittlerweile geraten bin.
So kam ich zügig und ereignislos voran und war bereits um zwölf Uhr mittags in Nogaro, dem Tagesziel. Ich war von der Stadt nicht sehr angetan. Das mag an der Polizeistreife gelegen haben, die sich hier gelangweilt herumtrieb und mich nun mißtrauisch beäugte. Es war die erste seit Wochen, welche ich frei jedweder staatlicher Kontrolle verbringen durfte. Ich sah keck zurück, bis sie genug hatten und weiterzogen. Das mögen sie nicht, so direkt angeschaut zu werden. Aber es hätte auch ins Auge gehen können, denn wo ich herkomme, kann man auch wahllos von der Autobahn runtergeholt werden, um nachzuprüfen, ob man im Hintern Rauschgift schmuggelt. Das Böse sei ja bekanntlich immer und überall, und jeder ist verdächtigt. Wohl auch hier. Zum Beweis heulte irgendwo hartnäckig eine Alarmanlage. Was aber keinen zu stören schien, am wenigstens die Büttel. Sie entfernten sich betont leger und langsam in Richtung Stadtmitte, wohl um mir zu zeigen, daß ich mir darauf nichts einbilden soll. Die Straße war von grauen, niedrigen Häusern gesäumt, die schon bessere Zeiten gesehen haben. Alles machte einen etwas verstaubten, verkommenen Eindruck. Kaum zu glauben, daß es sich hier um eine historische Stadt handelte, die schon um 1055 gegründet wurde. Da hätte ich mir in dieser Gegend eben mehr erwartet. Doch während der Religionskriege wurde viel zerstört, und danach schlief der Ort lange den Dornröschenschlaf. Bis irgendwann die Industrie und modern inspirierte Stadtväter kamen und auf den Feldern großzügig und autogerecht bauten. So auch die futuristisch anmutende und doch phantasielose Stadtherberge. Direkt an einem Sportflugplatz. Und gleich dahinter stand ein riesiger Supermarkt. Laut Führer sollte es hier noch eine Autorennstrecke und sonst was geben. Ich prüfte es nicht nach. Warum auch? Aber der Supermarkt war mir recht. Einen richtigen großen Supermarkt mit Parkplatz, Tankstelle und allem Schnickschnack habe ich seit Wochen nicht mehr gesehen. Nach den üblichen Hausaufgaben ging ich hin und bewunderte die vielen Waren wie ein armer Verwandter zu Besuch aus dem unterversorgten Ostblock. Während der Wochen als Pilger sind mir all diese Dinge, die man einmal im Leben
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