Bis ans Ende der Welt
stehen, hat keine Zeit, nach Bösem zu sinnen, und versperrt den Nachkommenden nicht den Weg. Stück weiter, wenn der nahe Münchner Flughafen erwacht und tonnenschwere Fluggeräte mit Gebrüll dicht über den Baumgipfeln wie Potwale hüpfen, legt man freiwillig noch Tempo zu. Da wären Sitzbänke wirklich überflüssig. Nicht überflüssig ist aber den Betreibern eine weitere Landebahn, damit auch die letzte Putzfrau eine sinnleere Reise zu den Antipoden unternehmen kann. Dank der permanenten Gehirnwäsche in den Medien wird man des Andrangs auf dem Flughafen nicht mehr Herr. Jeder fliegt wohin und freilich auch wieder zurück. Sie hätten es sich ja verdient, behauptet frech die Werbung. Und Neugeborene fliegen gar gratis. Da schweigen die Vögel am Fluß, da wäre jeder Piepser fehl am Platz. Wenigstens kam mir das Rauschen des Autobahnverkehrs nicht zu laut vor. Der Zubringerverkehr zum Flughafen, den man sonst vehement beklagen würde, ging so harmonisch im Krach der Flugzeugmotoren unter. Jedenfalls war hier die ländliche Idylle zu Ende, das allemal. Wie aus dem nichts schwirrten Radfahrer aus, und diejenigen, die man unterwegs traf, hörten zu grüßen auf. Noch näher an der Stadt antworteten sie auch nicht mehr auf den Gruß. Doch gab es Ausnahmen. Alte, Gebrechliche, Einsame, mit andern Worten solche, die kaum einer grüßt und anspricht, die mochten auch in München noch gegrüßt werden.
Mit Schlapphut und Hirtenstab verkleidet, sieht man nur bedingt vertrauenswürdig aus. Auch geht man, wie es die Fußgängereinfalt gebietet, mal links, mal rechts, und steht so dem Radfahrer ständig im Weg. Der muß auf die andere Seite weichen, was ihm sichtlich zuwider ist. In so einer Großstadt wie München fährt ein jeder das Rad, es ist gesund und fortschrittlich. Ein dynamischer, moderner Mensch braucht Bewegung. Fast wie den Urlaubsflug oder ein gescheites Auto. Je dynamischer und moderner, um so mehr braucht er Bewegung. Ich stehe ihm im Weg, jeder steht ihm im Weg, er steht sich selbst im Weg. Das ist lästig und nervt. Da muß man doch tunlichst kräftig klingeln. Als ich am nächsten Tag München verließ, las ich auf einer Tafel, die Fußgänger hätten auf Freizeitwegen unbedingt Vortritt. Und gerade da fuhr eine alte Dame auf einem klapprigen, rostigen Drahtesel vor und meinte unangefordert, man hätte ja direkt Angst zusammengefahren zu werden, so wie die Mountainbiker sausen und brausen. Ich gab ihr uneingeschränkt recht, obwohl auch sie Rad fuhr und somit eigentlich ins feindliche Lager gehörte.
Es war noch früh am Nachmittag, als ich am Englischen Garten ankam, und so steuerte ich auf den ersten Biergarten zu. So etwas hält man in München für seine Pflicht. Auf der Straße sorgte ich im regen Autoverkehr für einen Stau. Pilger waren an dieser Stelle wohl nicht eingeplant, und schon nach den wenigen Tagen war auch ich Autos nicht mehr gewöhnt. Nützlich erwies sich dabei der Hirtenstab. Der Lenker sieht und erkennt hier den Pilger als Sonderkauz, traut ihm allerhand zu und weicht lieber aus, um keine Kratzer im Lack zu bekommen. Dafür ist der Pilger sehr dankbar und gibt sich bescheiden. Ich wußte natürlich im voraus, daß ich an diesem Biergarten nicht vorbeigehen kann, also hatte ich mich hier mit Andrea verabredet. Bei ihr konnte ich an diesem Tag übernachten. Und durstig war ich! Aber die Freude hielt sich in Grenzen. Es gab keine Bedienung, ich mußte mir die Maß am Ausschank selber holen. Dann saß ich geschlagene vier Stunden da, sah herum, sinnierte und wartete auf Andrea. Es gebe noch Leute, die arbeiten müssen, meinte sie vorwurfsvoll, als sie endlich da war. Andrea kommt aus der Slowakei. Aber sie hat in München eine Arztpraxis und huldigt der deutschen Tüchtigkeit. Mann oh Mann, hat sie Streß!
Schäftlarn, km 154
In der Nacht träumte ich, ich sei bei unserem Oberbürgermeister zum Abendessen geladen worden. Das kam mir sogar im Traum komisch vor. Wir verstanden uns nicht mehr so gut, seitdem er ein großer, wichtiger Mann wurde. So ein Riese schaut eines Tages zurück, sieht, wie weit er’s brachte, schaudert vor Ehrfurcht und wundert sich: „Wie habe ich es nur geschafft?“ Und da kommt es ihm: „Durch Intelligenz und harte Arbeit!“ Von da an läßt er nur sein Urteil gelten und hält wohl alle für Idioten, die es nicht fertig gebracht haben, OB zu werden. Alle klagen darüber, doch vergeblich. Er hört nur auf die Vernunft, nämlich sich selbst. Aber er lud
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