Bis ans Ende der Welt - Oskar und Mathilda ; 2
nicht mehr«, sagte Oskar und auch seine Stimme flatterte ein wenig. »Das ist das, was ich beschlossen habe.«
»Das ist gut«, sagte Mathilda. »Das ist sogar ganz fantastisch.«
Sie beugte sich vor, streckte zögernd ihre Hand aus und berührte Oskar zart an der Schulter.
Oskar nickte. Er war sich noch nicht sicher, ob diese Entscheidung wirklich so gut war, wie er zunächst gedacht hatte. Jetzt, nachdem sie getroffen und ausgesprochen war, fühlte sie sich nämlich schon nicht mehr ganz so gut an. Vielleicht hätte er länger darüber nachdenken oder zumindest warten sollen, bis seine Wut auf Mathilda verraucht war. Nun konnte er nur noch hoffen, dass sein Beschluss, fortan auf die Drei zu verzichten, am Ende sein Gutes haben würde.
Dumm war allerdings, dass dieses Ende weder vorhersehbar noch in irgendeiner Weise absehbar war. Ohne die Drei und die damit verbundene Möglichkeit, Gehwegplatten, Teppichfransen, Schritte oder Zeiteinheiten abzuzählen, wurde die Zukunft mit all ihren Ereignissen beängstigend ungewiss.
»Aber du musst es richtig machen«, sagte Mathilda jetzt.
»Was meinst du damit?«, fragte Oskar zaghaft.
»Na ja …« Mathilda hob die Schultern bis zu den Ohren hoch und ließ ihren Blick über das Gerümpel auf dem Dachboden streifen, so als hoffte sie, dass es ihren Gedanken ein wenig auf die Sprünge helfen könnte. »Zum Beispiel um Mitternacht.«
»Versteh ich nicht«, sagte Oskar. »Wieso um Mitternacht?«
Mathilda schürzte die Lippen. »Noch besser wäre es natürlich bei Vollmond«, murmelte sie.
»Hä?« Oskar schüttelte den Kopf. Mathilda sprach mal wieder in Rätseln. Wahrscheinlich hatte sie seine Frage überhaupt nicht gehört.
»… und an einem Ort, der irgendwie magisch ist«, setzte sie hinzu und öffnete die Luke. »Los komm, Oskarchen, lass uns mal in den Kalender schauen.«
Ehe Oskar etwas erwidern konnte, war Mathilda bereits die Klappleiter hinuntergehechtet. Sie stieß die Schuppentür auf und sprang in den Garten hinaus.
Oskar folgte ihr zögernd, vergaß nicht, die Luke zu schließen, und fragte sich, warum er sich schon wieder alles von ihr aus der Hand nehmen ließ.
»Diesmal nicht«, sagte er und ballte die Fäuste. Nicht bei so einer wichtigen Sache!
Oskar drückte die Schuppentür zu und lief zur Vorderseite des Gartenhauses, wo er auf Mathilda und seine Mutter traf, die in einem kleinen Taschenkalender blätterte.
»Tut mir leid, mein Kind«, sagte Henriette Habermick. »Die Mondphasen sind hier leider nicht angegeben.«
»So ein Mist«, entgegnete Mathilda.
Unschlüssig richtete sie ihren Blick auf das Wohnhaus. Ob Opa Heinrichen immer noch mit seinen Schuhen beschäftigt war? Ob er überhaupt einen Kalender besaß? Er war der einzige Mensch in dieser piekfeinen Siedlung, der nicht nach festen Abläufen lebte. Opa Heinrichen machte immer nur das, wozu er gerade Lust hatte. Manchmal zog er den lieben langen Tag die Vorhänge nicht auf und kröste in seinem Haus herum, manchmal aß er vor dem Zubettgehen eine ganze Torte oder er schnippelte nachts im Schein seiner Taschenlampe mit einer Rasenkantschere die Grashalme ab. Kurzum: Opa Heinrichen brauchte weder Wochentage noch Tageszeiten und erst recht keine Mondphasen. Wenn sich tatsächlich eine Uhr und ein Kalender unter seinen Habseligkeiten befanden, dann wusste er garantiert nicht, wo er diese Dinge aufbewahrte. Und was den Kalender betraf, würde man nichteinmal sicher sein können, dass er überhaupt von diesem Jahr wäre.
Mathilda sah Oskar an. »Es hilft nichts«, sagte sie. »Wir müssen zu uns rüber.«
»Und was ist mit Julius?«, warf Oskar ein. »Wollte der nicht herkommen?«
»Ja, das wollte er«, sagte Mathilda und trat ungeduldig von einem Fuß auf den anderen. »Nun mach schon. Es dauert ja nicht lange.«
Oskar hatte eigentlich noch erwidern wollen, dass er es unhöflich fand, einfach nicht da zu sein, wenn sich Besuch angekündigt hatte, aber da war Mathilda bereits bei der Buchsbaumhecke, die Opa Heinrichens Grundstück von dem ihrer Eltern trennte.
»Warte!«, rief Oskar und rannte los.
Er war noch nie auf der anderen Seite der Hecke gewesen, geschweige denn, dass er einen Fuß in die von Dommelsche Villa gesetzt hatte. Er wollte auf jeden Fall verhindern, dass er durch das Loch schlüpfte und Mathilda bereits im Haus verschwunden war.
»Muss ich wirklich mit?«, keuchte er, als er sie eingeholt hatte. »Du kannst doch auch allein in den Kalender gucken. Und ich warte
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