Bis ans Ende der Welt - Oskar und Mathilda ; 2
druckste. Sie wollte nicht alles auf einmal verraten.
»Was denn nun?«, fragte Opa Heinrichen ungeduldig. Er hatte den Stiefel in seinen Schoß fallen lassen und die Bürste beiseitegelegt.
Mathilda sah ihn an. Sie bemerkte das schelmische Funkeln in seinen braunen Augen und entschied, auf volles Risiko zu setzen.
Sie hielt ihm ihre Hand hin und meinte: »Sagen wir, für einen kleinen Umbau.«
Opa Heinrichen schlug sofort ein.
Als Oskar mit der kleinen roten Schachtel in der Hand auf den mit Butterblumen, Gänseblümchen und Löwenzahn übersäten Rasen hinaustrat, kam Mathilda gerade hinter dem Wohnhaus hervorgeschossen.
»Du bist ja gar nicht auf dem Dachboden«, sagte Oskar erstaunt.
»Nö«, erwiderte Mathilda. »Ich hatte noch was mit Opa Heinrichen zu besprechen.«
Oskar sah sie erwartungsvoll an.
»Ist ein Geheimnis«, sagte Mathilda.
Oskar schluckte. Dass sie ein Geheimnis vor ihm hatte, war neu. Nach allem, was sie bisher miteinander erlebt hatten,war er eigentlich davon ausgegangen, dass es nirgendwo auf der Welt noch etwas geben könnte, das sie nicht miteinander teilten. Ohne Geheimnis und ohne Wenn und Aber.
Offenbar hatte Mathilda jedoch beschlossen, sonderbar zu sein.
»Du musst ja nicht alles wissen«, sagte sie nun und deutete auf die Schachtel. »Hast du eine Entscheidung getroffen?«
»Ähm …«, druckste Oskar.
Eigentlich hatte er sich entschieden. Aber das war, bevor er von Mathildas Geheimnistuerei gewusst hatte.
»Jetzt sag schon«, drängte sie ihn. »Ist ja keine Schande.«
Oskar zuckte mit den Schultern. »Nee«, sagte er.
»Die Schachtel ist also leer?«, fragte Mathilda ein wenig ungeduldig.
Oskar antwortete mit einem Seufzen. Der Tag fing ja gut an! Bestimmt wäre alles besser geworden, wenn er doch schon um Punkt neun Uhr aufgewacht wäre. Aber
wäre
war Konjunktiv und beschrieb somit keine Tatsache, sondern bloß eine Möglichkeit. Und in diesem Fall war es leider eine, die er verpasst hatte.
Unschlüssig starrte Oskar auf die Schachtel in seiner Hand. Geheimnisse waren zwar nicht unbedingt jedermanns Sache, trotzdem konnte jeder eines haben. Also auch er.
»Hast du deine Zunge verschluckt?«, blaffte Mathilda ihn an. »Oder gibt es einen anderen Grund, weshalb du nicht mit mir redest?«
»Ich gehe jetzt auf den Dachboden«, sagte Oskar.
Mathilda verschränkte die Arme über der Brust. »Und dann?«, wollte sie wissen.
»Mal sehen«, sagte Oskar und setzte sich in Bewegung.
Er ging an Mathilda vorbei und umrundete das Gartenhaus, an dessen Hinterseite sich der Schuppen befand.
»Julius kommt gleich vorbei!«, rief Mathilda ihm hinterher.
Na und, dachte Oskar. Er öffnete die Schuppentür und schlüpfte hinein. Nachdem er genau dreißig Sekunden abgewartet hatte, ob Mathilda ihm nicht vielleicht doch folgte, zog er an dem Seil, das neben der Klappleiter von der Decke herabbaumelte.
Die rechteckige Lukenklappe sauste herunter und landete neben ihm im Staub. Man müsste hier mal sauber machen, überlegte Oskar. Und ausmisten. All die alten Schränke und Kommoden, die sowieso nicht mehr schön waren, konnte man auf den Sperrmüll bringen. Und wenn man nur noch die Möbel und Gartengeräte behielt, die man auch wirklich brauchte, konnte man vielleicht die Hälfte des Schuppens anderweitig nutzen. Zum Beispiel als Zimmer.
Die Wohnung, in der seine Mutter und er lebten, war zwar mit allem Notwendigen ausgestattet, aber viel zu klein, denn eigentlich war sie ja nur eine Gästewohnung.
Henriette Habermick und Oskar waren vor ein paar Wochen hierher gezogen, weil Oskars Vater von einem Tagauf den anderen verschwunden und nicht mehr zurückgekehrt war. Drei endlos lange Monate hatten sie gehofft und gebangt und schließlich hatte Henriette Habermick es nicht mehr in ihrer alten Wohnung ausgehalten.
Und da sie nicht viel Geld besaßen und sich auf die Schnelle auch nichts Besseres finden ließ, waren sie in Opa Heinrichens Gartenhäuschen gezogen.
Inzwischen hatte sich das Problem mit dem Geld gelöst. Exakt ausgedrückt: Mathilda hatte es gelöst. Sie war nämlich auf die glorreiche Idee gekommen, dass Henriette Habermick Opa Heinrichen an fünf Tagen in der Woche für jeweils drei Stunden im Haushalt zur Hand gehen könnte, und sie hatte dafür den geradezu sensationellen Stundenlohn von dreißig Euro ausgehandelt.
Von eintausendachthundert Euro im Monat hätten sie leben können wie die Könige, schließlich mussten sie für die kleine Gartenhauswohnung nicht
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