Bis das Blut gefriert
Befürchtungen, dass wir etwas auf die Spur gekommen sind, das lieber im Dunkeln hätte bleiben sollen. Versteh mich bitte richtig, ich habe keine Angst um mich, sondern mehr um die Menschen, die ja nichts ahnen.«
»Ich auch.« Vor der Schwelle blieb ich stehen. »Sind denn schon Menschen umgekommen?«
»Nein, zum Glück nicht. Ich bete auch, dass es so bleiben wird.«
»Und wer hat den Blutklumpen gefunden?«, fragte ich.
»Der Pfarrer. Er lebt.«
»Das gibt uns Hoffnung«, sagte ich und verließ das Gebäude.
***
Rosanna’s Zimmer lag in der oberen Etage des kleinen Hauses, was sie ärgerte. Im Sommer war es zu heiß, im Winter oft zu kalt, und wenn sie wegwollte, dann musste sie drei Treppen hinablaufen, um endlich das Haus verlassen zu können. Sie war jung genug, um es locker zu schaffen. Mit achtzehn ist man noch nicht alt. Aber es gab da noch ihre Eltern, die ein scharfes Auge auf sie hatten, obwohl ihre Mutter schon mit siebzehn geheiratet hatte. Aber bei ihr war das eben immer etwas anderes. Der eigenen Tochter wollte sie keine Amouren zugestehen.
Doch die Natur ließ sich nicht aufhalten. Auch Rosanna hatte einen Freund. Er hieß Flavio und stammte aus einer der Vorstädte der großen Stadt Rom. Er lebte in einem der Hochhäuser, die man einfach in die Landschaft gesetzt hatte, um so viele Menschen wie möglich unterzubringen.
Da hatte Rosanna es besser, auch wenn sie ihre Eltern manchmal wie Wachhunde empfand.
Rosanna und Flavio hatten sich für den Abend verabredet. Für den späteren Abend und nach Einbruch der Dunkelheit. Ihre Eltern wollten noch immer, dass sie um Mitternacht zu Hause war, doch daran konnte und wollte sich Rosanna nicht halten.
Ihr Zimmer lag zwar hoch, aber nicht ungünstig. Von ihm aus konnte sie das Haus auch verlassen, ohne von einer anderen Person entdeckt zu werden. Wenn sie aus dem Fenster kletterte und sich auf den schmalen Sims stellte, war es für sie leicht möglich, das tiefer liegende Dach des Nachbarhauses zu erreichen. Es war zum Glück flach wie ein Brett und bot einer TV-Schüssel Platz.
War sie erst einmal auf dem Dach, dann brauchte sie nur die schmale Aluleiter zu nehmen, um den Boden zu erreichen. Flavio hatte sie besorgt. Sie war so praktisch, weil man sie zusammenschieben konnte.
Bis zum Treffen war noch etwas Zeit. Rosanna betrachtete sich im Spiegel. Was sie sah, machte sie recht zufrieden. Sie war schlank, eher klein als groß, hatte Taille und gut geformte Beine, die durch die enge schwarze Hose betont wurden. Als Oberteil trug sie ein ebenfalls eng am Körper liegendes Top, das den Bauchnabel freiließ, in den sich Rosanna einen silbernen Ring immer dann hineinklemmte, wenn sie mit Flavio verabredet war. Ansonsten ging sie ringlos. Dann ärgerte sich ihr Vater wenigstens nicht. Er sah in jedem Mädchen, das sich beringt oder tätowiert zeigte, schon eine Nutte.
Rosanna hatte ein hübsches Gesicht mit einer kleinen schmalen Nase, dunklen Augen, sanft geschwungenen Brauen und einem kleinen Kirschmund.
Vor ihrem achtzehnten Geburtstag hatte sie die Haare noch sehr lang getragen, was ihr das Aussehen eines Madonna gegeben hatte. Einen Tag nach dem Geburtstag hatte sich Rosanna die schwarze Flut abschneiden lassen. Sie trug die Haare jetzt kurz und in die Höhe gefönt. Sehr praktisch, der Schnitt.
Sie legte etwas Rouge auf und lauschte den Melodien aus dem Radio. Adriano Celentano sang mit seiner Reibeisenstimme. Sie mochte ihn, hatte schon zweimal ein Konzert mit ihm erlebt und kannte auch seine lustigen Filme.
Die Lippen zog Rosanna nicht nach. Flavio mochte den Geschmack des Lippenstifts nicht. Er liebte sie natürlich und verehrte sie manchmal wie eine Göttin.
Das mochte auch daran liegen, dass er bei Rosanna noch nicht zum Ziel gekommen war. Sie hatte sich ihm bisher stets verweigert. Petting, das war okay, aber ihre Unschuld hatte sie sich von Flavio nicht nehmen lassen. Das wollte sie auch so weit wie möglich hinausschieben. Da hatte sie ihre konservativen Grundsätze.
Sie fand sich gut. Noch ein paar Tupfer Parfüm in den Nacken gespritzt, dann war sie bereit. Bevor sie die Leiter unter dem Bett hervorholte, öffnete sie noch die Zimmertür und lauschte in das Haus hinein. Unten lief der Fernseher. Der Ton hallte bis zu ihr hoch. Den Eltern hatte sie nicht gesagt, dass sie noch verschwinden würde. Sie waren der Meinung, dass die Tochter für die Schule lernte, denn der Abschluss stand dicht bevor. Weder der Vater noch die Mutter
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