Bis das Blut gefriert
frei, was die Zeit begraben hatte. Aber sie wussten nicht, was sie wirklich aus den Tiefen hervorgegraben haben. Sie ließen alles liegen. Sie waren noch nicht fertig, denn sie mussten erst neues Geld auftreiben. Das ist ihnen bisher nicht gelungen. So haben sie auch nicht weiterarbeiten können. Aber sie haben etwas geweckt, das gebe ich gern zu. Und ich habe es gerochen. Ich habe sie beobachtet. Sie sahen mich nicht. Ich fand die Schriften über Charun und habe mich auch um die alten Beschwörungen gekümmert, die längst in Vergessenheit geraten waren. Nur nicht bei mir. Ich fand den Brunnen, ich stieg ein. Ich habe mich in den Stollen darunter umgesehen. Da konnte ich das Blut riechen, aber nicht sehen. Das Unheil steckte in ihnen. In jedem Krumen Erde, in jedem Stein, in der Decke und auch in den Wänden. Es war zu riechen und zu schmecken, und ich besaß das nötige Wissen. Ich habe durch das Sprechen der Formeln dafür gesorgt, dass das Blut wieder in Bewegung geriet, und damit füllte sich wieder der Brunnen. Das Blut nahm seinen Weg. Es verließ die alte Erde und auch die Verstecke. Es drang durch alle Ritzen und Spalten, und es gab die Geister der Toten frei, die nicht mehr Charun, sondern mir zur Seite stehen. Ich habe sie in den neuen Unruhestand zurückgeholt. Die Kälte verwandelte sich in Wärme, und damit wieder in ein anderes Leben.«
Ignatius schüttelte den Kopf. »Leben ist etwas anderes. Was du da vorhast ist das Leben ohne Seele. Ohne Gewissen. Es darf nicht existieren. Die Toten gehören nicht zu den Menschen und auch ihre Geister nicht.«
»Ach – tatsächlich nicht?«, höhnte Adolfi. »So etwas habe ich schon einmal gehört. Euer Priester hier war nicht schlecht. Als einziger ahnte er, was auf den Ort zukam. Er hat sich nur nicht getraut es weiterzuerzählen, weil er Furcht davor hatte, ausgelacht zu werden. Kann ich sogar verstehen, doch nun...«
»Moment, du irrst dich!«
»Ach – wieso?«
»Camino hat es weitererzählt. Mir nämlich. Ich bin nicht zufällig hier. Ich habe ihm geglaubt. Und ich kenne auch die anderen Welten. Darauf kannst du dich verlassen.«
Von zittrigen Schatten umweht stand Adolfi auf dem Fleck und breitete seine Arme aus. »Nutzt es dir etwas?«, fragte er, und seine Augen schimmerten wieder stark. »Nein, es bringt dir nichts, denn du wirst auf die gleiche Art und Weise sterben wie Camino. Du hast ihn gesehen, nicht?«
»Das habe ich.«
»Dann weißt du auch, dass ihm sein Kreuz nichts genutzt hat. Auch bei mir nicht. Es ist lächerlich. Ich habe mich amüsiert, als er es versuchte.« Adolfi deutete mit seinem Zeigefinger auf Ignatius. »Du trägst sicherlich auch ein Kreuz bei dir.«
»Ja.«
»Sehr gut. Auch wenn es geweiht ist, es bringt nichts. Es kann dein Leben nicht schützen. Wirf es weg!«
»Ich denke nicht daran!«
»Das hat Camino auch gesagt.« Adolfi freute sich. »Ich brauche mich nicht mehr zu verstecken. Jetzt ist es egal, ob ich von Zeugen gesehen werde oder nicht. Jeder kann zuschauen, wie ich dich vernichte. Man soll sogar zuschauen, denn nur so kann ich meine Macht schon jetzt am Beginn festigen.«
Father Ignatius wollte nicht zugeben, dass er auf verlorenem Posten stand. Aber es war so. Und er wurde Zeuge, wie Adolfi einen Schritt von ihm wegtrat, den Kopf zurücklegte, den Mund öffnete und die Arme ausbreitete wie jemand, der auf eine besondere Art und Weise beten will. Seine Augen glänzten dabei, und er riss den Mund so weit auf wie eben möglich. Dann holte er Luft.
So hätte es jeder Mensch getan. So sah es auch bei ihm aus, aber es kam noch etwas hinzu. Er atmete nicht nur die Luft ein. Durch diese saugende Bewegung gelangte noch etwas anderes in ihn, denn die feinstofflichen Gestalten in seiner Nähe bewegten sich kreiselnd und glitten langsam auf ihn zu.
Er saugte sie tatsächlich ein. Noch weiter drückte er den Kopf in den Nacken. Vor seinem offenen Maul zogen sich die Gestalten zusammen, sodass sie knochendünne Rauchschwaden bildeten, die tief hinein in den Rachen gleiten konnten.
Ein Schluck. Noch einer, dann immer schneller. Er trank die alten Totengeister. Ignatius war fasziniert. Er sah, wie sich die Haut an der Kehle bewegte, und er hörte aus dem offenen Maul das Röcheln der Lukumonen wie ein Rückhall. Dann schloss er den Mund.
Er beugte den Kopf nach vorn. Er stierte Ignatius an.
Es war nicht so dunkel geworden, als dass der Mönch nicht alles hätte erkennen können. Adolfi’s Gesicht glänzte heller.
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