Bis dein Zorn sich legt
trat vor die Kamera und bat die Öffentlichkeit um Mitarbeit. Alles sei von Interesse, sagte sie. Ob jemand wisse, wo die beiden tauchen wollten? Und habe irgendwer vor ihrem Verschwinden noch mit ihnen gesprochen?
»Bitte, scheuen Sie sich nicht, uns anzurufen«, sagte sie. »Lieber ein Anruf zu viel als einer zu wenig.«
Anna-Maria Mella saß auf dem Wohnzimmersofa und sah sich selbst in den Nachrichten. Robert saß neben ihr. Sie hatten jeder einen Pizzakarton auf dem Schoß liegen. Jenny und Petter hatten bereits gegessen. Leere Kartons und Limodosen standen vor ihr auf dem Tisch. Marcus übernachtete bei seiner Freundin. Gustav schlief schon längst in seinem Bett.
Um sie und Robert herum, hinter ihren Rücken und auf dem Boden vor dem Sofa lag zerknitterte saubere Wäsche, die sortiert und gefaltet werden müsste. Robert war den ganzen Tag mit Gustav unterwegs gewesen. Zu Mittag gegessen hatten sie bei Roberts Schwester.
Niemals würde er auf die Idee kommen, Wäsche zusammenzulegen, dachte Anna-Maria unzufrieden. Alles im Haus war so schrecklich chaotisch. Sie würde den ganzen Urlaub brauchen, um einigermaßen Ordnung schaffen zu können. Und sie hätte auch gern eine richtige Mahlzeit gehabt anstelle dieser widerlichen fettigen Pizza. Demonstrativ ließ sie die Pizzascheibe, die sie in der Hand hielt, fallen und schob den Karton zurück.
Aus dem Augenwinkel sah sie, wie Robert Pizzastücke zusammendrückte und in seinen Mund schob, während er ihr zerstreut über den Rücken streichelte.
Sie ärgerte sich über dieses monotone gedankenlose Streicheln. Als ob sie eine Katze wäre. Gerade in diesem Moment hätte sie es gebraucht, mit Gefühl liebkost zu werden. Abwechselnd mit den Fingerspitzen und der ganzen Hand. Mit einem Hauch von Begehren. Einem Kuss in den Nacken. Einer tröstenden Hand in ihren Haaren.
Sie hatte ihm erzählt, was geschehen war, und er hatte zugehört, ohne viel zu sagen. »Das ist ja noch mal gut gegangen«, hatte er gesagt. Sie hätte schreien mögen: »Und wenn es nicht gut gegangen wäre?! Es hätte zum Teufel gehen können!«
Muss man denn immer weinen, um getröstet zu werden, fragte sie sich. Muss man immer wütend werden, damit er hier im Haus irgendetwas tut?
Und auf irgendeine Weise spürte sie, dass Robert mit sich sehr zufrieden war, weil er ihr keine Vorwürfe machte. Sie war schließlich Polizistin. Wenn sie einen anderen Beruf gehabt hätte, wäre es nie zu einer so brenzligen Situation gekommen. Sie war böse über diesen stummen Vorwurf. Darüber, dass er es vermutlich für sein gutes Recht hielt, wütend zu sein, aber so lieb und gütig war, ihr zu verzeihen. Sie wollte aber keine Absolution.
Sie bewegte ihren Rücken in einer Rühr-mich-nicht-an-Geste.
Robert zog die Hand von ihrem Rücken. Er spülte den letzten Bissen Pizza mit dem letzten Schluck aus der Coladose hinunter, erhob sich, sammelte alle Kartons und Dosen ein und verschwand in der Küche.
Anna-Maria blieb sitzen. Sie fühlte sich verlassen und ungeliebt. Ein Teil von ihr wollte hinter Robert herlaufen und ihn bitten, sie fest in den Arm zu nehmen. Aber sie blieb sitzen. Stierte teilnahmslos auf den Fernseher und spürte, wie sie sich innerlich verhärtete.
ICH SCHAUE BEI Hjalmar Krekula vorbei. Sein Haus ist eine richtige Junggesellenbude. Mama Kerttu wechselt noch immer seine Vorhänge aus. Jedes Frühjahr und jeden Herbst. Vor etlichen Jahren hat er sich beschwert, und seither hängt sie keine Weihnachtsvorhänge mehr bei ihm auf. Sie hat die Fensterbänke mit Plastikpelargonien voll gestellt. Er hat kein einziges Möbelstück für sein Haus gekauft. Das meiste hat er von Tore übernommen. Als der jüngere Bruder seine Frau austauschte, tauschte die neue Frau die Möbel im Haus aus. Was aus der früheren Ehe vorhanden war, war zu dunkel, zu hell, zu abgenutzt, zu dies oder zu das. Tore ließ sie gewähren, wie man das anfangs eben so macht. Die alten Möbel landeten dann bei Hjalmar.
Den Fernseher hat er selbst angeschafft. Einen großen teuren. Er hat soeben die Spätnachrichten ausgeschaltet. Sie haben Bilder von mir und Simon gezeigt. Er spürt mich, als ich mich neben ihm auf das Wohnzimmersofa setze. Das merke ich, weil er rasch seitwärts schaut. Danach rutscht er ein Stück zur Seite, um dem Gefühl, dass ich dort bin, zu entgehen, sperrt alle Türen zu dem Haus ab, das er selber ist.
Jetzt schaltet er schnell den Fernseher wieder ein.
Er staunt über diese kleine Polizistin.
Er
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