Bis dein Zorn sich legt
verschneit. Und das war es bereits vor dem Unwetter. Ihr schlechtes Gewissen versetzt ihr einen Stich, als sie den Spaten holt.
Sie schaufelt. Der Neuschnee ist leicht und locker, der Schnee darunter jedoch eisig, feucht und bleischwer. Die Sonne sticht ihr in die Augen und wärmt ihren Rücken. Sie überlegt, dass sie nie das Gefühl hat, der Großmutter besonders nahe zu sein, wenn sie herkommt. Nein, die Großmutter begegnet ihr an anderen Orten. Plötzlich im Wald oder ab und zu im Haus. Wenn sie zum Grab geht, ist es eher ein Willensakt, Gedanken und Gefühle bei der Großmutter landen zu lassen.
Aber es würde dir gefallen, dass ich hier Ordnung halte, denkt sie an ihre Großmutter gewandt und gelobt sich selbst, eine bessere Grabhüterin zu werden.
Und jetzt kommen die Gedanken an die Großmutter. Jetzt ist Rebecka fünfzehn Jahre alt und fährt mit dem Moped aus der Stadt die fünfzehn Kilometer nach Kurravaara, knattert mit der Schultasche über der Schulter auf ihrer Puch Dakota auf den Hofplatz. Bald wird das Schuljahr enden, und im Herbst wird sie auf das Gymnasium überwechseln. Es ist nach sechs Uhr abends. Die Großmutter ist in der Scheune. Rebecka wirft ihre Jacke über den Rand des großen Scheunenkessels. Der ist aus Gusseisen und eingemauert. Darunter gibt es eine Feuerstätte. Im Winter wärmt die Großmutter hier das Wasser für die Kühe auf. Ab und zu weicht sie getrocknete Bündel von Birkenzweigen ein, damit die Kühe zusammen mit dem eingeweichten Hafer Birkenlaub fressen können, Rebecka hat oft zusammen mit der Großmutter die aufgeweichten Blätter von den Zweigen gerissen. Die Hände der Großmutter sind immer grob und voller Kratzer. Als Rebecka klein war, hat sie jeden Samstag im Scheunenkessel gebadet. Dabei wurden kurze Bretter unten in den Kessel gelegt, damit sie sich nicht verbrannte.
Diese vielen Geräusche, denkt Rebecka, als sie jetzt am Grab steht. Die vielen von Ruhe erfüllten Geräusche, die ich niemals wieder hören werde, die kauenden Kühe, die Milch, die gegen die Eimerwände spritzt, wenn Großmutter melkt, die Ketten, die rasseln, wenn die Kühe sich nach dem Heu strecken, Fliegengebrumm und Scheunenschwalben. Großmutter, die mich streng ermahnt, mich umzuziehen, man darf doch nicht in den feinen Schulkleidern in die Scheune gehen. Und ich, die sagt: »Wen interessiert das?« und die jetzt anfängt, Punakorva zu striegeln.
Und Großmutter hat mich deshalb nicht ausgeschimpft. Ihre Strenge saß nur in der Stimme. Bei ihr durfte ich ein freies Leben führen.
Dann starb sie allein. Während ich in Uppsala fürs Examen büffelte. Aber ich bin noch nicht so weit, dass ich daran denken könnte. Es gibt noch immer so vieles, was ich mir nicht verzeihen kann. Und das hier ist das Schlimmste.
Rebecka Martinsson schwitzt und bohrt den Spaten tief in den Schnee, als ein Schatten auf sie fällt. Jemand steht hinter ihr. Sie dreht sich um.
Es ist Hjalmar Krekula.
Er sieht aus wie ein ausgebrochener Sträfling. Wie ein Mann, der in der Kleidung, die er am Leib trägt, in Türeingängen geschlafen hat, ein Mann, der in Mülltonnen und Papierkörben nach Pfandflaschen sucht.
Zuerst fürchtet sie sich. Aber dann wird ihr Herz schwer, und sie wird von Mitleid erfüllt. Er sieht wirklich zu elend aus. Mit ihm geht es bergab.
Sie sagt nichts.
Hjalmar sieht Rebecka an. Er hatte nicht damit gerechnet, die Staatsanwältin hier anzutreffen. Er war auf dem Weg zu Wilmas Grab über den neuen Teil des Friedhofs gegangen. Die vielen neuen Gräber waren so schön vom Schnee befreit und gepflegt. Kaum schaute die Sonne hervor, da kamen die Angehörigen offenbar angerannt. Sicher waren sie in ihrer Mittagspause hier, um alles schön zu machen. »Geliebt, betrauert« stand auf fast allen Steinen. Er fragte sich vage, was auf seinem eigenen Stein stehen wird. Ob Tores Frau Laura sich darum kümmern würde. Vielleicht würde sie das tun, nur um im Dorf kein Gerede aufkommen zu lassen. Eine Weile hat er vor einem Kindergrab gestanden. Hat rasch mit Hilfe des Datums auf dem Stein ausgerechnet, wie alt Samuel bei seinem Tod war. Zwei Jahre, drei Monate und fünf Tage. Ein Bild des Jungen war in der oberen linken Ecke des Steins eingelassen. So etwas hatte er noch nie gesehen. Nicht, dass er so oft den Friedhof besuchte. Es gab einen Kranz, in dem ein Teddybär saß, es gab Blumen und eine Grablaterne.
»Du armer Kleiner«, sagte er und spürte einen Druck in der Brust. »Du armer
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