Mord auf Frauenchiemsee - Oberbayern Krimi
Prolog
Es war laut, und tagsüber hätte es ihr vielleicht gefallen, aber jetzt war nicht Tag, und sie konnte sich nicht vorstellen, was da vor sich ging.
Im Krieg war Rumoren und Grollen etwas gewesen, woran man sich gewöhnt hatte. Und draußen vor dem Fenster tobte es, als wäre Krieg. Aber davon hätte sie sicher etwas mitbekommen. Obwohl sie in letzter Zeit mehr und mehr die Zeit verlor und auch sich selbst.
Zeta wollte aufstehen und machte eine Bewegung zur Seite. Mit Schmerz hatte sie gerechnet, aber dieser schnitt ihr scharf wie ein Messer in den Rücken. Sie war unbeweglich geworden, dabei hatte sie früher geturnt und für ihre Darbietungen am Schwebebalken Lorbeeren eingeheimst. Damals gab es diese begehrten Auszeichnungen noch, Kränze aus vergoldeten Lorbeeren und Blättern. Zeta hatte sich alle geholt. In einem anderen Leben.
Jetzt lag sie in einem weiß bezogenen Bett in einem Zimmer, das die Schwestern Krankenzimmer nannten, doch sie wusste, sie würde in diesem Raum sterben. Sie war alt, und es hätte ihr nicht unnatürlich erscheinen sollen, aber sie fürchtete sich trotzdem fast zu Tode.
Die Nacht verwehrte ihr zwar meist den Schlaf, der Tag aber war erbarmungsloser – er raubte ihr die Erinnerungen, er stahl ihr Leben. Aufstehen würde klappen, weil ihre Hände gute Diener waren und kraftvoll. Sie konnte sich aufsetzen, abstützen, Atem schöpfen und dann die Beine über den Rand schieben. Es war mühsam und es dauerte eine Weile, aber sie hatte Zeit.
Zetas Stöhnen wurde von neuerlichem Gepolter übertönt. Kein Krieg, ein Gewitter.
Sie wollte nur einen Blick aus dem Fenster werfen, und weil auf ihre Bitte hin die Vorhänge niemals vorgezogen wurden, konnte sie den Nachthimmel sehen. Sonst war er im Winter meist klar und unverhangen, ganz anders als im Sommer. In dieser Nacht aber flog der Schnee gegen die Scheiben, der eisige Wind peitschte ihn waagerecht über den See. Zeta konnte nicht das Geringste erkennen. Sie wollte sich nicht ängstigen, doch es klang böse, so als hätte jemand den letzten Rest Geduld verloren. Dann krachte es, so nah, dass sie Angst bekam. Holz splitterte, etwas riss auf und Helligkeit drang zum Fenster herein.
Der glühende Schein in der Finsternis erschien ihr bedrohlich, sie verspürte namenloses Entsetzen. Sie riss die Hände empor und faltete sie zum Gebet. Die Klostereiche. Der Blitz war in die alte Eiche gefahren.
»Vater im Himmel, das darf nicht sein!«
Sie war zurückgekommen. Das Unheil hatte begonnen.
1
Delphina
Franziskaner-Terziarin und eine große Wohltäterin der Armen. Gemeinsam mit ihrem Ehemann Eleazar von Sabran ruht die Ordensfrau in der Kathedrale Sainte Anne in der südfranzösischen Stadt Apt.
26. November
Das Gewitter war direkt über ihnen, die Abstände von Donner und Blitz kaum mehr wahrzunehmen. Und wieder krachte es, bevor ein weißer Strahl vom Himmel zischte.
»Kann es sein, dass dir meine Zutaten nicht gefallen?«, erkundigte sich Schwester Althea bei ihrem stillen Mitbewohner. Sie saß auf dem Bett in ihrer Klosterzelle, und er hing schweigsam und unbeweglich am Kreuz über ihr an der Wand.
»Weihnachtsmarzipanbowle. Eine Versuchung. Wenn ich sie richtig hinbekomme.« Davon war sie überzeugt.
Das Problem war das zuckerige Marzipan, es musste sich ganz langsam auflösen, sonst entstand eine trübe Brühe. Und erst dann konnte der Alkohol hinzugefügt werden.
Sie hätte gern gesagt, für praktische Versuche sei noch genug Zeit, aber das stimmte nicht. Es war Ende November. Schwester Jadwiga, die Priorin, hatte Althea unmissverständlich klargemacht, dass sie bis zum Christkindlmarkt am ersten Adventswochenende die Sache mit der Bowle hinbekommen musste. Und außerdem, habe sie sich nicht erboten, in diesem Jahr den Adventskalender für das Kloster zu basteln? Wie weit sie damit inzwischen sei?
Althea hatte vage geantwortet, was Jadwiga nicht entgangen war. Sie hatte im Spätherbst begonnen, kleine Socken zu stricken, immerhin brauchte sie vierundzwanzig davon, doch irgendwas stimmte mit der Anleitung nicht, und jetzt war es für andere Ideen zu spät. Aber »erboten« hatte sie sich nicht, sie war vielmehr dazu verdonnert worden. Aufgrund einiger Vorfälle im vergangenen Sommer war die Priorin offenbar der Ansicht, ihr eine winzige Buße auferlegen zu müssen.
Der Sommer hatte sich sang- und klanglos verabschiedet und mit ihm zwei Personen, die Althea in der kurzen Zeit ins Herz geschlossen hatte. Inzwischen
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