Bis einer stirbt
einfällt. Und deinen Eltern ist das sicher auch nicht gleichgültig. Folglich solltest du dich mit ihnen absprechen.«
»Und woher«, entgegnete ich, »willst du wissen, dass es so eine Absprache nicht gibt?«
»Du gehörst nicht zu Nilsâ Freunden, bisher jedenfalls nicht. Wenn du jetzt plötzlich hier übernachtest, muss es dafür einen besonderen Grund geben. Man übernachtet als Mädchen mit sechzehn nicht einfach bei einem Jungen, den man kaum kennt, und spricht das vorher nicht mit den Eltern ab. Nein, es ist klar, dass du von zu Hause abgehauen bist.«
»Du unterforderst sie.« Nils schien gelangweilt. »Jeder Mensch ist für sie ein offenes Buch.«
Marlena musste sichtbar schlucken. »Zurück zu meiner Frage, Klara. Wie lange hast du vor wegzubleiben?«
SchlieÃlich bot sie mir für fünf weitere Nächte ihre Wohnung an. »Danach muss aber in jedem Fall eine andere Lösung her«, sagte sie.
Absolute Bedingung war allerdings, dass meine Eltern über meinen Aufenthaltsort Bescheid wussten.
»Es ist mir egal«, erklärte Marlena, »ob du bei ihnen anrufst oder einfach vorbeigehst. Aber bis spätestens heute Abend müssen sie wissen, wo du bist. Dazu meinen Namen, Telefonnummer und Adresse. Du kommst mir nicht wieder hier herein ohne dein Ehrenwort, dass sie Bescheid wissen. â Alles klar?«
Ihr Vorschlag setzte mich unter Druck, aber ich willigte ein. Erstens hatte sie Recht. Und zweitens keine andere Wahl. Unmöglich konnte sie mich heimlich bei sich wohnen lassen: SchlieÃlich war sie bei der Kripo.
Allerdings hatte ich keine Ahnung, wie ich die fünf Tage und Nächte nutzen sollte, um daheim auch nur eine halbwegs klare Situation zu schaffen. Nichts würde sich ändern, nur weil ich ein paarmal nicht brav in meinem Bettchen schlief. Was auch immer ich tun konnte, erschien mir sinnlos.
Ansonsten war ich froh, dass Marlena mich nicht mit Fragen löcherte. Ich fand es schon groÃzügig, dass sie überhaupt einen Gedanken an mich und meine läppische Geschichte verschwendete. Eigene Probleme hatte sie wirklich genug.
5
Um die Lage zu Hause ein bisschen abzuchecken, rief ich am späteren Morgen auf Pits Handy an. Diesmal nahm er ab. Seine Stimme klang leise, fast bedrückt.
»Wo warst du denn?«, fragte er. »Ich hab die ganze Nacht nicht gepennt. Ich hab auf dich gewartet.«
Sollte ich jetzt etwa Mitleid haben â so wie er sich in letzter Zeit mir gegenüber verhalten hatte? Er hatte sie wohl nicht mehr alle. AuÃerdem hatte ich ihm doch gesagt, dass ich nicht heimkommen würde.
»Ich wollte mit dir reden«, sagte er kleinlaut.
Ich traute meinen Ohren nicht. Es war Lichtjahre her, dass er mit mir hatte reden wollen. Langsam wurde es bedenklich.
»Sollen wir uns treffen?«, fragte ich besorgt.
»Ich hab keine Zeit«, sagte er, plötzlich gehetzt. »Ich ruf dich später noch mal an. Ciao.« Damit war das Gespräch beendet.
»Was ist los?«, fragte Nils. Wir waren unterwegs in die Stadt. »Schlechte Nachrichten?«
»Mein kleiner Bruder. Er war ein bisschen seltsam. Er wollte mit mir reden.«
Nils grinste sparsam. »Was sensationell ist?«
»Allerdings. Nicht nur reden, sondern auch noch mit mir. Da ist irgendwas oberfaul.«
»Was könnte das Problem sein?«, fragte Nils.
»Ist das jetzt wieder dein ererbter kriminalistischer Instinkt oder was?« Er ging mir plötzlich auf die Nerven.
»Keine Panik. Stinknormale Neugier.«
Ich glaubte ihm kein Wort. »Mein kleiner Bruder kann eine ziemliche Nervensäge sein, Herr Oberkommissar SchlauscheiÃer, aber kriminell ist er garantiert nicht.«
»Hab ich das etwa behauptet?« Im Nachhinein bewundere ich seine Ruhe. »Da drüben, das ist übrigens die Tankstelle, wo â¦Â« Sie lag auf der anderen Seite der HauptstraÃe und war noch gesperrt. Mehrere Autos parkten vor den Tanksäulen, die meisten davon Polizeiwagen. Mindestens ein Dutzend Menschen flitzte ameisenhaft auf dem Gelände hin und her. Manche verschwanden im Geschäftsraum, andere kamen heraus. Notizen wurden gemacht, es wurde diskutiert und telefoniert.
»Lass uns mal rübergehen«, schlug Nils vor. »Sicher ist meine Mutter auch da.«
Marlena war ungefähr eine Stunde vor uns aufgebrochen, nachdem sie keine zwei Stunden geschlafen hatte.
Nils war nicht
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