Bis in den Tod hinein
wieder bewusst wurde, dass sich lediglich Wasser darin befand.
» Und woher wissen Sie dann, dass dieser… äh…«
» Pierre La Maire.«
» Genau. Also, dass der nicht am Steuer saß?«
Severin Boesherz lächelte verschmitzt. Er hatte auf diese Frage gehofft.
» Zum einen war der Fahrersitz sehr weit nach vorn gestellt, als wir das Auto gefunden haben. La Maire war einen Meter neunzig groß, so würde er seinen Sitz nicht eingestellt haben. Wichtiger ist aber der Moment, in dem das Auto an der Schranke hält. Der Wagen stoppt, dann geht die Hand des Fahrers kurz an die Tür, erst danach in Richtung Mittelkonsole. Zwei Sekunden später geht die Scheibe runter, und der Fahrer führt das Ausfahrticket in den Schlitz.« Boesherz’ Begleitung sah ihn fragend an. » Der Fahrer hat nach dem Fensterheber gesucht«, erklärte er daher. » Die sind bei französischen Autos manchmal ziemlich originell versteckt. La Maire besaß seinen Wagen seit vier Jahren. Zwischenzeitlich sollte er sich also daran gewöhnt haben, wo er hingreifen musste. Außerdem haben wir Hautschuppen, Blut und Haare von La Maire im Kofferraum gefunden.«
In diesem Augenblick trat der Kellner an den Tisch und servierte einen Caesar’s Salad für die Dame und einen Tafelspitz für den Kommissar. Boesherz hatte sich mit seiner Internetbekanntschaft an diesem Tag zu einem zwanglosen Kennenlernen verabredet. Während der Mittagspause seiner Begleiterin wollten sie in einem kleinen Lokal am Berliner Gendarmenmarkt gemeinsam essen. Während die beiden sich ihren Speisen zuwandten, fuhr Boesherz ungerührt fort.
» So richtig interessant wird die Geschichte aber eigentlich erst ab jetzt«, versprach er und schnitt sein Fleisch an. Es war zu seiner Erleichterung zart wie Butter. Schon oft war der Rheingauer, der erst vor Kurzem in die Hauptstadt umgezogen war, von der Qualität der Berliner Restaurants enttäuscht worden. » Der Entführer hat sein Opfer an Händen und Füßen fixiert, und zwar mit Handschellen, um die er reißfeste Seile gewunden hat. Die hat er dann ziemlich straff um zwei Betonpfeiler gewickelt. Als unser Franzose sich dann kaum noch bewegen konnte, hat ihm sein Entführer ein engmaschiges Metallgehäuse auf den nackten Bauch geschnallt und zwei Ratten hineingesetzt.«
Während Boesherz sich sein Essen schmecken ließ, bemerkte er, dass seine Begleitung auf die bloße Erwähnung des Wortes Ratten hin ihre Gabel auf dem Teller abgelegt hatte. Unbeirrt berichtete er dennoch weiter.
» Der Täter hat auf einem kleinen Gartengrill ein Kohlebrikett zum Glühen gebracht. Sie kennen diese Dinger, die werden noch in manchen Altbauwohnungen zum Heizen von Kachelöfen benutzt. Als das Brikett vollständig geglüht hat, hat er es mit einer Grillzange auf den Metallkäfig gelegt. Der ist natürlich wahnsinnig heiß geworden.«
» Mein Gott, der arme Mann!«, stieß die Frau aus. » Der muss ja total in Panik geraten sein.« Ihr eigentlich attraktives Gesicht war jetzt in tiefe Sorgenfalten gelegt.
» Der Mann?«, entgegnete Boesherz erstaunt. » Die Ratten sind in Panik geraten. Die wollten sofort aus dem Käfig raus! Zu den Seiten ging das aber nicht. Die armen Tiere hatten also nur einen einzigen möglichen Fluchtweg: durch den Bauch von Pierre La Maire.«
Spätestens ab jetzt war von Boesherz’ Begleitung kein weiteres Wort mehr zu erwarten. Wie paralysiert folgte sie mit offenem Mund den Worten des Ermittlers, während ihr eigentlich köstlicher Salat vollkommen in Vergessenheit geraten war.
» Unser Rechtsmediziner hat das Ganze rekonstruiert: Die Ratten haben angefangen, sich zuerst durch die Haut, kurz danach dann durch die Bauchmuskulatur des Opfers zu nagen. Dadurch hatten die Tiere den Dünndarm freigelegt und konnten sich erst mal mühelos durch das Geflecht der Schlingen bis zum Dickdarm vorwühlen. In den haben die Ratten dann ein Loch genagt, durch das sie schließlich über den Anus des Franzosen in die Freiheit entkommen sind. Liberté! Man nennt das Ganze übrigens Rattenfolter, darüber gibt es ganze Abhandlungen.« Boesherz griff eine Scheibe Brot, riss ein Stück davon ab und zog es durch die Meerrettichsoße. » Die Ratten haben das Ganze erstaunlich unbeschadet überstanden, wir haben sie noch in der Lagerhalle gefunden. Sogar der Mann war noch am Leben, ganz bemerkenswert. Er konnte uns seinen Mörder aber leider nicht mehr beschreiben. Er war völlig verwirrt, hatte unfassbare Schmerzen und eine Infektion von den
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