Göttertrank
Bittere Erkenntnis
Düfte haben mehr als eine Ähnlichkeit mit der Liebe, und manche Leute glauben sogar, die Liebe sei selbst nur ein Duft.
Alfred de Musset
Es gab in meiner Kindheit eine Begebenheit, an die ich mich wohl immer erinnern werde und die mir so deutlich wie an jenem Tag vor Augen steht. Ihr Auslöser war ein köstlicher Duft.
Dieser Duft war so wundervoll, so warm, so tröstlich. Er hüllte mich ein, er beruhigte mich, er füllte meine Nächte mit friedlichen Kinderträumen. Dieser Wohlgeruch und sanfte Wiegenlieder begleiteten mich seit den ersten Monaten meines Lebens. Allgegenwärtig schien er zu sein, Tag und Nacht umgab er mich wie ein schützender Kokon – der zarte Duft von Kakao.
Im Laufe der Zeit spürte ich die Quelle auf. Es waren die Hände meiner Mama, die nach Kakao rochen, und wenn ich nachts neben ihr im Bett lag, fest in ihre Arme gekuschelt, dann wurden mütterliche Liebe und Schokoladenduft eins.
Sie riefen mich Amara, und ich wuchs heran zu einem wissbegierigen, zufriedenen Kind. Im Frühling, als ich anderthalb Jahre alt war, durfte ich tagsüber in der Küche sitzen, in einem Gitterställchen, in dem ein weiches Kissen, eine Schmusedecke zum Ruhen sowie ein paar Bauklötzchen und eine Lumpenpuppe zum Spielen einluden. Weder die eine noch die andere Einladung nahm ich jedoch an, viel zu interessant war es, das geschäftige Treiben der dicken Köchin am Herd zu beobachten und Mama zuzuschauen, die ihr zur Hand ging. Mama war für die Süßspeisen zuständig, sie buk Kuchen und Plätzchen, rührte Puddings und Cremes, und vor allem bereitete sie den Kakao für die Herrschaften zu. Jeden Morgen zerbrach sie eines der dunkelbraunen Täfelchen in kleine Stücke, zerrieb ein Klümpchen Zucker im Mörser zu feinem Pulver, füllte alles in die Porzellankanne und übergoss es mit kochendem Wasser. Dann stellte sie den Quirl in die Kanne, schob den Stiel durch das Loch im Deckel und drückte diesen fest zu. Mit geschickten Bewegungen drehte sie den Quirl zwischen den Handflächen, und nach einer Weile goss sie einen Teil der Flüssigkeit in eine Schale. Den Schaum, der sich darauf gebildet hatte, schöpfte sie sorgsam ab. Das war der Augenblick, an dem ich immer zu betteln begann. Lächelnd reichte Mama mir dann den Topf mit der cremigen Masse, damit ich mich an den in allen Farben schillernden Bläschen erfreuen und mich am Duft sattriechen konnte. Viel zu schnell aber wurde mir die Köstlichkeit wieder entzogen.
»Die Kakaobutter brauche ich noch, Amara, damit darfst du nicht spielen«, erklärte mir Mama. Tatsächlich verwendete sie die fettige Creme, um abends ihre von der Arbeit rauen Hände einzureiben, manchmal auch ihre Lippen und vor allem die wund geriebenen Stellen meiner zarten Kinderhaut. Doch wenn ich von dem dunkelbraunen Getränk etwas haben wollte, hieß es: »Das ist der Kakao für die Frau Gräfin, Amara. Kleinen Kindern schmeckt er nicht.« Was ich mich weigerte zu glauben. Nichts, was derart gut roch, konnte schlecht schmecken.
Ich quengelte nicht, ich maulte nicht, aber ich war schon damals ein zielstrebiges Geschöpf und verlor mein Ansinnen nicht aus den Augen. Die Gelegenheit bot sich im Juni. Die Herrschaften waren verreist, in der Küche gab es wenig zu tun. Die Köchin sorgte lediglich für die Mahlzeiten für die verbliebene Dienerschaft, Kakao wurde nun morgens nicht zubereitet. Da auch die beiden jungen Söhne die Eltern begleiteten, hatte Nanny viel Zeit, sich um mich zu kümmern, und der Gitterstall in der Küche wurde weggeräumt. Ich liebte Nanny fast so sehr wie Mama, obwohl sie schon ziemlich alt war und nach Pfefferminze und nicht nach Kakao roch. Sie sprach auch irgendwie anders, was mich aber nicht störte. Ich verstand sie sehr gut, und manche Liedchen von ihr konnte ich sogar schon mitsingen. Sie kannte unzählige Spiele und wundervolle Geschichten, nahm mich oft an die Hand, um mir im Garten die Blumen und die Schmetterlinge zu zeigen, konnte Eichhörnchen mit Nüssen locken und lehrte mich, die zutrauliche alte Stallkatze zu streicheln.
Aber dann kam der regnerische Nachmittag im Juni, an dem die Köchin frei hatte, Mama zur Meierei gegangen war und Nanny, mit der ich auf dem Küchentisch die Holzfigürchen einer Arche Noah aufgebaut hatte, von einem fahrenden Händler an die Tür gerufen worden war.
Ich saß ganz alleine in der Küche.
Und auf der Anrichte stand die Dose mit dem verlockenden Kakao.
Noch reichte ich mit der Nase
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