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Bis ins Koma

Titel: Bis ins Koma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Blobel
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Kiosk war früher ein öffentliches Klo. Ganz chic, aus Klinker mit einem Kupferdach. Richtig nett. Kein Mensch würde draufkommen, dass das früher mal eine Pinkelanstalt war.
    Am Morgen ist jemand von der Stadt da gewesen und hat behauptet, Onkel Herbie müsse seinen Laden dichtmachen. Dabei ist Onkel Herbie schon seit zehn Jahren hier und verkauft Wodka, Underberg und Jägermeister und all die anderen kleinen Schnäpse und eben Bier an Leute mit Durst. Sogar Eierlikör. Oder Rotwein. Also, wo liegt das Problem?
    Das Problem liegt auf der anderen Straßenseite. Drohend deutet Onkel Herbie auf das blendend weiße Patrizierhaus mit Säulen vor dem Eingang. Das Haus hat früher einem Messie gehört, einem Typen, der herzensgut war, wie Onkel Herbie sagt, aber einfach nichts wegwerfen konnte. Keine einzige leere Weinflasche, keine einzige ALDI-Tüte, keine Zeitung, keinen leeren Joghurtbecher. Zwischen seinen schönen Rhododendronbüschen und unter der alten Kastanie stapelte sich das Altpapier, das er nachts mit seinem Handkarren auf den Bürgersteigen einsammelte. Er konnte selbst nicht erklären, warum er das tat, aber es war ja nicht verboten und in seinem eigenen Haus kann jeder machen, was er will. Onkel Herbie hat über die Jahre gut an ihm verdient.
    Dann ist der Mann in seinem Müll verendet und das Haus
und das Grundstück kamen auf den Markt und irgendjemand hat erkannt, was für ein Juwel das eigentlich ist. Zwei Jahre lang wurde renoviert. Onkel Herbie konnte jeden Bauabschnitt aus allernächster Nähe verfolgen. Er kaufte damals sogar einen Kocher und einen großen Topf, um Wiener Würstchen heiß zu machen, und dazu Kartoffelsalat aus dem Eimer für die Bauarbeiter, die regelmäßig bei ihm ihre Mittagspause machten. War ein gutes Geschäft. Aber dann zogen die Besitzer ein.
    Sie fährt einen Porsche, er einen bulligen Landrover.
    Zuerst haben sie noch zurückgegrüßt, wenn er ihnen morgens zuwinkte. Zuerst haben sie bei ihm sogar ihr Hamburger Abendblatt geholt, aber nur, bis ihr Abo anlief. Seitdem legt ein Austräger jeden Morgen fünf vor sechs das Hamburger Abendblatt, eine Börsenzeitung und die FA Z auf die Fußmatte vor der Haustür.
    Irgendwann muss es den neuen Besitzern aufgestoßen sein, dass Onkel Herbie seinen Kiosk praktisch niemals dichtmachte. Onkel Herbie ist fünfundsiebzig, und in dem Alter, sagt er, brauche der Mensch immer weniger Schlaf. Außerdem weiß er nicht, was er machen soll, wenn er nicht hinter dem Tresen in seinem Kiosk steht oder die Aschenbecher auf dem Biertisch ausleert. Und Herr Lehmann hängt auch lieber am Kiosk rum als in der kleinen Einzimmerwohnung in Hamburg-Barmbek. Herr Lehmann ist ein dunkelbrauner Mischling mit buschigen Augenbrauen, nacktem Schwanz und den treuen Augen eines Hamsters. Herr Lehmann - auch genannt HL - schwänzelt unentwegt um den Kiosk und freut sich über jeden, der bei Onkel Herbie ein Bier trinkt, Zigaretten kauft oder nur quatschen will. Herr Lehmann bellt nicht, weil er nicht bellen kann seit der Sache mit seinen Stimmbändern. Also wegen HL hat sich noch nie jemand beschwert. Außerdem flitzt Onkel Herbie sofort mit einer kleinen schwarzen Plastiktüte los, wenn der Hund sein Geschäft
gemacht hat. Er ist so erzogen, dass er sich nach jedem Klogang bei Onkel Herbie meldet und ihn zu der Stelle führt. Andere Leute wären stolz auf so einen sauberen, gut erzogenen Hund in der Nachbarschaft.
    Marvel, Bully, Mauki und Jojo hören sich geduldig Onkel Herbies Gejammer an, während sie ihr lauwarmes Bier schlürfen. Denn: »Kein Bier ist auch keine Lösung«, hat Marvel getönt, als Herbie sie vor die Alternative stellte: warmes Bier oder gar keins.
    Onkel Herbie erwartet von ihnen coole Sprüche und im Sprücheklopfen sind sie tierisch gut. Onkel Herbie hat ihnen deswegen Rabatt gewährt. Er weiß, was er seiner Stammkundschaft schuldet.
    Nicht dass Marvel und seine Truppe hier jeden Nachmittag rumhängen. Nicht dass sie nicht auch mal Cola oder Apfelschorle trinken. Bier ist die Ausnahme. Mittags sowieso. Bier gibt’s, wenn es was zu feiern gibt, wie jetzt, oder wenn einer von ihnen seinen Kummer ersäufen muss. Eine Weibersache zum Beispiel, Ärger mit den Eltern oder ein Problem in der Schule.
    Sie sitzen an dem Biertisch, die Schultaschen zwischen den Füßen, und trinken das Holsten stilecht aus der Flasche. Und fühlen sich wie in der Werbung: saucool.
    Marvel wollte Onkel Herbie eigentlich die Sache mit der Soap erzählen. Onkel

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