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Bis ins Koma

Titel: Bis ins Koma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Blobel
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was echte Jungs brauchen, sagt Bully immer. Vor allen Dingen Bier. Im Sixpack. Eiskalt.
    »Was gibt’s denn zu begießen?«, motzt Marvel. »Hab ich etwa gesagt, ich ruf da an?«
    Seine Freunde starren ihn an. Mauki tippt sich an die Stirn. »Mann, ehrlich, Marvel, willst du uns verarschen? Natürlich rufst du an.«
    Bully schlägt Marvel auf die Schulter, dass die Halswirbel knacken. »Und den Oscar holen wir dann gemeinsam in Hollywood ab.«
    Da müssen sie alle lachen. Und dann ertönt auch schon der Gong und die Lateinstunde fängt an.
    Der Lateinlehrer Anton Huberti wollte ihnen was Gutes tun
und hat ein Gedicht von Catull ausgesucht: das Kussgedicht, das Lehrer immer als Trumpfkarte aus dem Ärmel ziehen, wenn die Schüler sich fragen: wozu eigentlich Latein?
    »Da mi basia mille, deinde centum, dein mille altera …« - Gib mir tausend Küsse, dann hundert, dann weitere tausend … und so weiter.
    Jojo, der neben Marvel sitzt, knirscht mit den Zähnen, was er immer tut, wenn ihm was auf den Geist geht, und brummelt Unverständliches vor sich hin.
    Huberti merkt sofort auf und blickt stirnrunzelnd in ihre Richtung. »Jojo, hast du ein Problem?«
    »Ja«, sagt Jojo, froh, dass er mit dem Denken mal Pause machen kann, »ich hab grad mal so nachgedacht, ob der Typ nur Liebesgedichte geschrieben hat oder auch mal was anderes.«
    »Was wäre in deinen Augen denn mal was anderes?« Hubertis Stimme klingt gereizt, geradezu empört. Huberti schätzt es nicht, wenn die Schüler seine Textauswahl kritisieren.
    »Na ja«, entgegnet Jojo trotzig, »ein Saufgedicht oder so.«
    Ein paar Lacher erklingen, verebben aber sofort wieder.
    Jojo glaubt, er muss noch eins nachlegen. »Ich hab mal irgendwo gelesen, dass die alten Römer fette Saufgelage gefeiert haben. Bis zum Abwinken haben die gesoffen. Die hatten sogar Pfauenfedern dabei. Damit haben sie sich den Hals gekitzelt, um schneller kotzen zu können. Damit wieder neuer Stoff reinpasst.«
    Marvel bemerkt, wie die senkrechte Falte auf Hubertis Stirn anschwillt.
    »Komm wieder runter, Jojo«, warnt er leise. »Es reicht!«
    Der Lehrer aber hat sich bereits auf den Weg zu ihnen gemacht. Er kommt direkt auf Jojo und Marvel zu.
    Jojo senkt den Kopf wieder tief über den Text.
    Und während Marvel stirnrunzelnd die vierte Zeile studiert:
Soles occidere et redire possunt, brennt die Visitenkarte in seiner Jackentasche und ihm wird klar, dass er nachher wohl da anrufen wird.
    Und dass es an der Zeit ist, seinem Leben einen neuen Kick zu geben.
    Als am Ende der Stunde alle Schüler nacheinander beim Verlassen des Klassenraums ihre Arbeiten auf Hubertis Tisch legen, hält der Lehrer Jojo zurück. »Meum est propositum in taverna mori«, sagt er.
    Jojo blinzelt. »Hey, kapier ich nicht …«
    Der Lehrer lächelt. »Du wolltest doch einen Trinkspruch. Und der lautet: Meum est propositum in taverna mori .«
    »Aha«, knurrt Jojo. Er ist ungeduldig. Er hat heute keine Lust auf einen Plausch mit dem Lehrer. Huberti ist beliebt in der Schule, in der 9 a besonders. Er weiß mehr über seine Schüler als jeder andere Lehrer. Viele haben ihn schon zu Hause besucht. Eine Wohnung, deren Wände mit Büchern tapeziert sind. Seine Frau kocht Tee aus frischem Ingwer. Marvel hat Hubertis Handynummer gespeichert. Huberti hat die 9 a zweimal auf einer Klassenfahrt begleitet, sie hatten alle einen Mordsspaß.
    Huberti ist in Ordnung. Huberti ist einer von den wenigen Lehrern, mit denen man auch abends gern mal um die Häuser zöge. Und für den man lernt, weil man ihn nicht enttäuschen will. Und mit dem man auch mal das eine oder andere private Problem antexten kann.
    Aber nicht heute, denn draußen auf dem Flur warten schon die anderen. Huberti jedoch, auf den mittags niemand zu warten scheint, legt Jojo den Arm um die Schulter und sagt in dem väterlich jovialen Ton, den er manchmal draufhat: »Zu Deutsch: Mein Vorsatz ist es, in der Taverne zu sterben.«
    Jojo grinst. »Ah! Super! Danke für den Tipp. Aber ganz so schlimm ist es bei mir noch nicht.«

    »Na hoffentlich!«, ruft Huberti ihm nach, aber da ist Jojo schon draußen.
     
    Das Bier bei Onkel Herbie ist nicht eiskalt wie gewohnt, das Kondenswasser perlt nicht herunter und zieht nicht diese schönen senkrechten Streifen. Das Bier ist lauwarm und Onkel Herbie stinkwütend. Sie haben ihm den Strom abgestellt. Weil er eine Verwarnung bekommen hat. Bloß weil er die zwei Biertische und vier Bierbänken neben dem Kiosk aufgestellt hat. Der

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