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Biss sagt mehr als tausend Worte

Biss sagt mehr als tausend Worte

Titel: Biss sagt mehr als tausend Worte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Moore
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geholt, aber der Großteil des Geldes war anderswo versteckt. Dem Mauerwerk der Wohnung nach zu urteilen, den Fensterrahmen, dem Winkel, in dem die Straßenlaternen von oben hereinschienen, vermutete sie, dass sie sich in einer Kellerwohnung an der Jackson Street befand, ungefähr dort, wo sie zuletzt gewesen war. Nirgendwo sonst sah
die Stadt so aus. Nirgendwo war sie so alt. Sie zeigte auf sich selbst, dann auf den kleinen Mann, dann auf die Karte.
    Er nahm sie ihr aus der Hand und kritzelte ein X, dann hastig eine Strichmännchenversion der Transamerica-Pyramide. Ja. Sie befanden sich in der Jackson Street. Sie malte ein »$« an der Stelle, wo sie das Geld versteckt hatte, dann strich sie es durch. Das Geld war in einem abgeschlossenen Verteilerkasten hoch oben auf einem Dach versteckt, das sie problemlos erreichen konnte, zwei Stockwerke über der obersten Feuertreppe. Der schmächtige, kleine Mann würde das nie im Leben schaffen.
    Er lächelte und nickte, zeigte auf das Dollarzeichen. Er trat an seine Werkbank, klappte eine hölzerne Kiste auf und hielt eine Handvoll Banknoten hoch. »Ja«, sagte er.
    »Okay. Sie kaufen mir was anzuziehen.«
    »Ja«, sagte er.
    Sie machte eine Geste, als würde sie trinken, und nickte dann. Er nickte auch und hielt sein Messer hoch.
    »Nein, das können Sie sich nicht mehr leisten. Tier .« Sie überlegte, ob sie ein kleines Grunzen von sich geben sollte, war jedoch nicht sicher, ob er dadurch nicht vielleicht aufs falsche Gleis käme, also zeichnete sie auf dem Skizzenblock ein Strichmännchen, dann strich sie es durch und zeichnete ein erstklassiges Strichschweinchen, ein Strichschäfchen und einen Jesusfisch. Er nickte.
    »Ja«, sagte er.
    »Wenn Sie mir einen christlichen Streichelzoo bringen, bin ich enttäuscht, Mister… äh…« Oha, das war peinlich. »Na gut, Sie sind nicht der erste Mann, neben dem ich aufgewacht bin, ohne zu wissen, wie er heißt.« Sie bremste sich
und tätschelte seinen Arm. »Ich weiß, man könnte mich für eine Schlampe halten, aber ich hatte früher immer Angst, allein zu schlafen.« Sie sah sich in der kleinen Wohnung um, sah die ordentlich sortierten Arbeitsgeräte auf der Werkbank, die kleinen Schuhe und den weißen Seidenkimono, in den er sie gewickelt hatte.
    »Danke schön«, sagte sie.
    »Danke schön«, sagte er.
    »Ich heiße Jody«, sagte sie und zeigte auf sich. Dann zeigte sie auf ihn und überlegte, ob das in seiner Kultur vielleicht unhöflich war. Aber er hatte sie schon nackt und verkohlt gesehen, also waren Förmlichkeiten vermutlich nicht mehr nötig. Es schien ihm nichts auszumachen.
    »Okata«, sagte er.
    »Okata«, sagte sie.
    »Ja.« Er strahlte sie an.
    Sein Zahnfleisch war zurückgewichen, was aussah, als hätte er riesige Pferdezähne, doch dann fuhr Jody mit der Zunge über ihre eigenen Beißer, die, wie es schien, keineswegs mitvertrocknet waren, und sie merkte, dass sie sich mit ihrem Urteil über andere möglicherweise etwas mehr zurückhalten sollte.
    »Gehen Sie. Okay?« Sie zeigte auf den Skizzenblock.
    »Okay«, sagte er. Er sammelte seine Sachen ein, setzte seinen albernen Hut auf und wollte eben losgehen, da rief sie nach ihm.
    »Okata?«
    »Ja.«
    Sie machte eine Geste, als würde sie ihr Gesicht waschen, und deutete auf ihn. Er trat an den kleinen Spiegel über der
Spüle, sah, dass er blutverschmiert war, und lachte. Selbst seine Augen zogen sich zu einem Lächeln zusammen. Er sah sie über die Schulter hinweg an, lachte auf und schrubbte sein Gesicht mit einem Lappen, bis es sauber war. Dann ging er zur Tür.
    »Jody«, sagte er und zeigte auf die Treppe nach draußen. »Nein. Okay?«
    »Okay«, sagte sie.
    Als er weg war, kroch sie vom Futon und wankte zur Werkbank, wo sie sich ausruhen musste, bevor sie weitertaumeln konnte, um sich Okatas Arbeit anzusehen. Drucke von Holzschnitten, manche fertig, andere mit nur zwei, drei Farben, vielleicht Proben. Es war eine Folge, die Entwicklung eines schwarzen Skeletts auf gelbem Futon, das allmähliche Entstehen der Figur. Wie er sie pflegte, wie er sie in den Kimono wickelte, wie er ihr sein Blut gab. Der letzte Druck war noch nicht mehr als eine Skizze. Daran hatte er wohl gearbeitet, als sie aufgewacht war. Er hatte Reispapier auf einen Holzblock geklebt und war dabei gewesen, die Umrisse herauszuschnitzen, die schwarzen Flächen der anderen Drucke. Sie waren wunderschön und präzise und schlicht und traurig. Sie spürte, wie ihr die Tränen kamen, und

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