Biss sagt mehr als tausend Worte
sich im Dunkeln einrollte und daranmachte, den Menschengeschmack loszuwerden.
Es war kaum einen Monat her, seit der alte Vampir Chet verwandelt hatte, doch schon jetzt verlor er das Gefühl für sein früheres Ich. Das waren noch Zeiten gewesen, als er seine Tage auf der Market Street verbrachte, dösend neben William, dem Obdachlosen, der seinen Lebensunterhalt mit einem Pappbecher und einem Schild bestritt, auf dem stand: »ICH BIN ARM UND HABE EINEN FETTEN KATER.« Chet war wirklich fett, und wenn auch einiges von seinem Volumen nur Fell war, hatte er doch ein Gewicht von fünfunddreißig Pfund erreicht, allein indem er sich von angebissenen Hamburgern und Pommes ernährte, die Passanten ihnen draußen vor McDonald’s gespendet hatten.
Mittlerweile jagte Chet bei Nacht und riss so ziemlich jedes warmblütige Wesen, dem er begegnete: Ratten, Vögel, Eichhörnchen, Katzen, Hunde und sogar hin und wieder einen Menschen. Anfangs waren es nur Säufer und Penner, und als er das erste Mal einen leer trank, seinen alten Freund William, der vor seinen Augen zu Staub zerfiel, heulte Chet auf, lief weg und versteckte sich für den Rest der Nacht und den ganzen nächsten Tag unter einem Müllcontainer. Er fühlte keine Reue, nur Hunger und diese Euphorie, die der Blutrausch mit sich brachte. Es ging über das befriedigende Gefühl des Tötens hinaus. Es war auch sexuell, was Chet als normaler Kater nie erlebt hatte, da er schon als junges Kätzchen im Tierheim kastriert worden war. Ausgestattet mit Schnelligkeit, Kraft und Sinnen, die noch um einiges sensibler
waren als die menschlicher Vampire, stellte Chet – genau wie seine menschlichen Pendants – fest, dass er perfekt wiederhergestellt war. Mit anderen Worten: Sein kleiner Kater schnurrte.
Er stellte fest, dass er nach dem Töten dringend etwas rammeln musste, je zappliger und wimmernder, desto besser. Neben Busabgasen, Küchendüften und den harngetränkten Randsteinen der Stadt witterte er ein rolliges Weibchen. Angesichts seiner geschärften Sinne mochte sie meilenweit entfernt sein, doch finden würde er sie auf jeden Fall.
Eine Woge der Erregung wallte unter dem Fell an seiner Wirbelsäule auf, das nachgewachsen war, seit die Menschen ihn geschoren, sich vor seinen Augen gepaart und sein Blut getrunken hatten, was dazu beitrug, seinen Katerverstand zu traumatisieren, noch bevor er ein Vampir wurde, und es weckte ein ganz neues Bedürfnis: Vergeltung. Denn seit seiner Metamorphose waren nicht nur seine Sinne expandiert. In seinem Hirn, in dem vorher nur die Schleife »Fressen-Schlafen-Scheißen-Fressen« gelaufen war, bildete sich nun ein neues Bewusstsein heraus, und es wuchs, wie auch Chet wuchs. Mittlerweile wog er gut sechzig Pfund und war ungefähr so schlau wie ein Hund, während er vorher nur unwesentlich geistreicher als eine Scheibe Toast gewesen war. Hund. Die Verhassten. Hund lag in der Luft. Kam näher. Er konnte ihn riechen – sie – zwei. Und dann konnte er sie hören. Er unterbrach seine Popflege, stand auf und kreischte wie ein elektrifizierter Luchs. Ein Chor von einem Dutzend maunzender Vampirkatzen hallte als Antwort durch das ganze Viertel.
Der Kaiser
»Immer mit der Ruhe, Männer«, sagte der Kaiser. Er legte seine Hand auf den Hals des Golden Retrievers und kraulte den Boston Terrier, der sich in des Kaisers großer Manteltasche wand und dabei wie ein glupschäugiger schwarzweißer Känguru-Mutant aussah.
»Katze! Katze! Katze! Katze! «, bellte Bummer und spuckte dem Kaiser dabei Hundesabber an die Hand. »Katze! Mord, Schmerz, Feuer, Böse, Katze! Riechst du es nicht? Überall! Muss jagen, jagen, jagen, beißen, beißen, beißen, lass mich los, du bekloppter alter Mann! Um Himmels willen, ich versuche, dich zu retten! KATZE! KATZE! KATZE!«
Unseligerweise sprach Bummer nur Hündisch, und während der Kaiser zwar merkte, dass der Boston Terrier aufgeregt war, wusste er doch nicht, wieso. (Jeder Übersetzer aus dem Hündischen weiß, dass nur ein Drittel dessen, was Bummer sagte, tatsächlich auch etwas bedeutete. Alles andere waren nur Geräusche, die er machen musste. Den Menschen geht es da nicht anders.) Lazarus, der Golden Retriever, hatte in den letzten beiden Monaten immer wieder mit Vampiren gekämpft, und da er von Natur aus gefestigter war, blieb er auch ruhiger, was die ganze Sache anging. Allerdings musste er – obwohl Bummer zu Überreaktionen neigte – doch zugeben, dass deutlich Katzengeruch in der
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