Bitte Einzelzimmer mit Bad
Diesen mathematischen Widerspruch bekam Tinchen zu spüren, als sie in fünf Koffern nicht das unterbringen konnte, was sie vor einem halben Jahr in vier Koffern hergeschleppt hatte. Es waren zwar ein paar Sachen dazugekommen, andererseits hatte sie einen Teil ihrer Garderobe ausrangiert und den Zimmermädchen geschenkt – somit hätte die Relation eigentlich stimmen müssen. Trotzdem gingen die Koffer nicht zu. Ob das an den ganzen Mitbringseln lag? Besonders der Keramikkrug für Oma Marlowitz war so sperrig. Einfach zurücklassen? Kommt nicht in Frage, das Ding ist viel zu teuer gewesen!
Vorsichtshalber hatte Tinchen die Verwandtschaft in zwei Gruppen eingeteilt – solche unter zwanzig Mark und solche darüber. Oma gehörte zur zweiten Kategorie, also mußte der Topf unter allen Umständen mit.
Wieder fing sie von vorne an, und wieder blieb ein Haufen übrig. Sie hätte eben doch Florians Angebot annehmen und ein paar entbehrliche Dinge im Wagen mit nach Hause schikken sollen, aber um nichts in der Welt wäre sie diesem widerwärtigen Individuum freiwillig noch einmal unter die Augen getreten. Im Zimmer hatte sie sich eingeschlossen, als er sich hatte verabschieden wollen, mucksmäuschenstill war sie gewesen, hatte Nichtdasein vorgetäuscht und auf dem Bettrand vor sich hingeheult.
Jetzt war sie allerdings darüber hinweg. Florian existierte nicht mehr! Abgeschrieben, ausgelöscht, vergessen! Was hätte sie auch mit solch einem Windhund anfangen sollen? Ewig pleite (wer weiß, wie lange er für seinen Urlaub gespart und wen er nicht alles vorher angepumpt hatte), völlig ohne Ehrgeiz (in dreißig Jahren noch würde er sich als Lokalreporter die Schuhsohlen durchwetzen!), einer, der in den Tag hineinlebte und sich einen Teufel darum scherte, wovon er am nächsten Mittag seine Tütensuppe bezahlen würde. Der ewige Junggeselle! Lieber zwei Ringe unter den Augen als einen an der Hand!
Da war Klaus doch ein ganz anderer Typ: strebsam, zielbewußt, finanziell abgesichert, eine attraktive Erscheinung mit erstklassigen Manieren, einer ebensolchen Familie und – manchmal wenigstens – einer gehörigen Portion Humor. Warum also nicht? An die himmelhochjauchzende Liebe glaubte Tinchen sowieso nicht mehr. So etwas passierte einem allenfalls in ganz jungen Jahren, und zu dieser Zeit mußte sie wohl gerade in England gewesen sein, wo Love eine Lippenstiftmarke und vielleicht noch eine Vokabel im Wörterbuch gewesen war.
Weshalb also sollte sie Klaus nicht heiraten? Die stürmische Leidenschaft ging ohnedies irgendwann einmal vorüber und war schon deshalb nicht als alleinige Grundlage einer Ehe empfehlenswert. Viel wichtiger waren Verständnis, Vertrauen, Kameradschaft – alles das würde sie bei Klaus finden.
Langsam begann sie sich mit dem Gedanken anzufreunden. Eine eigene Familie zu haben, Kinder, ein schönes Zuhause … Früher hatte man doch auch häufig nur aus Vernunftgründen geheiratet, und trotzdem waren die Ehen sehr glücklich geworden. Kaiser Franz Joseph zum Beispiel mit Sissi – na ja, die war ja wohl doch nicht so unbedingt glücklich gewesen! – oder der letzte Zar von Rußland – auch kein so gutes Beispiel! –, aber Urgroßtante Melanie und Onkel Oskar! Die hatten wirklich bloß geheiratet, damit aus der Tischlerei und dem Sarggeschäft endlich ein gemeinsamer Betrieb werden konnte. Und was war dabei herausgekommen? Acht Kinder und zu guter Letzt ein Doppelgrab, nachdem die Luftmine das Haus getroffen hatte.
»Bis zur letzten Minute haben die beiden Hand in Hand im Luftschutzkeller gesessen, getreu ihrem Gelöbnis ›Bis daß der Tod euch scheidet‹«, hatte Oma oft genug erzählt, eine Behauptung, die begreiflicherweise nie bewiesen, aber auch ebensowenig widerlegt werden konnte. Jedenfalls wurden die 32 Jahre Eheglück von Melanie und Oskar Marlowitz immer als lobenswertes Beispiel angeführt, wenn irgendwo im Bekanntenkreis von Scheidung die Rede war. »Obwohl sie nicht aus Liebe geheiratet haben«, wie Oma quasi als I-Punkt anzufügen pflegte.
Die werden zu Hause Augen machen, wenn ich als Braut zurückkomme! Oder vielleicht wäre es besser, doch noch nichts zu verraten und zu warten, bis sie Klaus in voller Lebensgröße präsentieren konnte. Nächsten Monat schon werde er nach Deutschland zurückfahren, hatte er noch gestern gesagt. Seine Arbeit sei nahezu abgeschlossen, und wenn Tina erst weg sei, würde ihn auch nichts mehr in Loano halten. Keine Minute länger als
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