Leandra - Die Amazonenprinzessin (German Edition)
Die Nacht der zwei Schwerter
In der großen Halle des Tempels der Kriegsgöttin Isen war es dunkel, und es herrschte vollkommene Stille. Leandra lauschte den Atemzügen der anderen zehn Mädchen und fragte sich, was sie gerade dachten. Schworen sie bereits Isen die Treue oder sahen sie sich als siegreiche Heldinnen aus einer Schlacht kommen? Leandra unterdrückte ein Seufzen, damit die anderen nicht merkten, dass sie sich nicht auf ihre Aufgabe konzentrierte.
In dieser Nacht sollten sie sich innerlich auf die letzte Phase ihrer Ausbildung als Kriegerinnen vorbereiten, und Leandra ärgerte sich, dass es ihr nicht gelang, mit dem Willen Isens zu verschmelzen. Isen war die einzige Göttin der Amazonen, und schon als kleines Kind hatte sie gelernt, wie man die Kriegsgöttin ehrte. Leandra schloss die Augen. Sie fühlte sich wie eine Lügnerin. In einigen Monaten würde sie siebzehn Jahre alt werden, und noch nie hatte sie die Liebe zur Göttin wirklich gefühlt.
Vom langen Knien taten ihre Beine weh, aber sie wagte nicht, sich zu rühren. Sie war die Tochter der Königin der Amazonen und musste den anderen ein Vorbild sein. Eigentlich sollte die Prinzessin die verwegenste und stärkste der Gruppe sein. Rechts hinter ihr ertönte ein leises Schnarchen, und Leandra ahnte, von wem es stammte. Von der liebenswerten Chloe. Sie wünschte, sie hätte die Schlafende wecken können, doch auch das war verboten.
Der Weihrauch machte Leandra ebenfalls müde, aber jedes Mal, wenn sie drohte einzuschlafen, dachte sie daran, dass wenige Schritte vor ihr die Statue der Isen stand. Die Vorstellung, dass sie umkippen konnte, holte sie schnell wieder in die Gegenwart zurück. Die Prinzessin fragte sich, wann die Hohepriesterin kommen würde, um die Zeremonie zu beginnen. Die Nacht musste bald vorbei sein. Schuldgefühle überkamen Leandra. Ihre Gedanken sollten der Kriegsgöttin gelten, doch am liebsten wäre sie weit weg.
Trommeln ertönten und kamen näher. Leandras Herzschlag beschleunigte sich. Unwillkürlich begann ihr Handrücken zu jucken. Sie ignorierte es. Ich werde nicht schreien, wenn sie mir mein Zeichen in die Haut brennen , schwor die Prinzessin sich.
Abrupt verstummten die Trommeln, dann schwangen die großen Flügeltore auf, und zwei Fackeln spendeten den Raum ein wenig Licht. Leandra blinzelte, denn nach der langen Zeit im Dunkeln sah sie nur, wie Schatten an den Wänden der Halle Stellung bezogen. Natürlich konnten es nur die Trommlerinnen, und sie richtete den Blick auf den Eingang.
Ein weiterer Trommelwirbel erhob sich, als die Hohepriesterin der Isen begleitet von zwei Priesterinnen eintrat. Während ihr Gefolge in schwarze, schlichte Kleider gehüllt war, trug Ciara ein außergewöhnliches Gewand, welches zwar auch überwiegend schwarz war. Geschickte Näherinnen hatten aber zusätzlich einen glänzenden, roten Stoff eingearbeitet. Er umfing die Taille wie ein Gürtel und verlief von der rechten Hüfte bis zur linken Schulter. Wie eine Wunde von einem mächtigen Schwerthieb, dachte Leandra und erschauderte leicht.
Die Hohepriesterin trat vor die Statue der Isen und hob die Arme.
„Willkommen im Tempel der Isen, Töchter von Tehuna. Erweist der Göttin die Ehrung, die ihr zu steht, und lauscht meinen Worten.“
Leandra beugte sich vor, sodass ihre Stirn den Boden berührte. Der Stein war kalt und rau, und die Trommeln setzten wieder ein.
„Heute ist Tehuna das Land der Amazonen, doch einst gehörte es den Vohranern. Die Vohraner versklavten als Erstes andere Menschen, und sie waren für ihre Grausamkeit bekannt. Für einen kleinen Fehler konnte ein Sklave sein Leben verlieren, aber besonders grausam waren die Vohraner zu ihren Frauen.“ Ciara machte eine Pause. „Ich werde euch die Geschichte von Adina erzählen.
An einem sonnigen Herbsttag ging Mirad, der Fürst der westlichen Provinz, mit seinem Gefolge auf die Jagd, aber sie fanden keine Fährte. Das gesamte Wild schien sich in Luft aufgelöst zu haben, und als sie am Abend ihr Lager aufschlugen, betranken sie sich.
„Wo sind die Viecher bloß alle hin?“, brummte Mirad und ergriff den Arm seiner Schwester Adina, als sie ihm Wein einschenkte. „Was meinst du?“
„Ich weiß nicht.“
„Sag schon! Oder soll dich meine Peitsche fragen?“
Seine Begleiter fingen an zu lachen, und Adina senkte den Blick.
„Vielleicht, weil Ihr in den letzten Jahren zu viele Tiere erlegt habt.“
„Verdammt, womöglich hast du recht. Ich erlege sie schneller, als sie geboren
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