Bitte nicht füttern: Roman (Piper Taschenbuch) (German Edition)
zweiten Stock verbracht. Er wollte aber zurück in die Küche, und darum hatte er jemanden gesucht, der sich um Verwaltung und Finanzen kümmerte sowie um eventuelle Expansionspläne. Wobei Rory sich noch nicht sicher war, inwieweit er tatsächlich expandieren wollte.
Angebote flatterten ihm genug ins Haus. Nicht nur von Fernsehshows, sondern auch Anfragen bezüglich Sponsorings und Talentförderung. Die Idee der Kochschule keimte. Er konnte das alles nicht mehr alleine schaffen. Er brauchte jemanden, der den Überblick behielt und die Zügel in die Hand nahm.
Und dann hatte er Julia Eisner gefunden.
Julia hatte Jura und Sprachen studiert und als Übersetzerin für eine angesehene Münchner Kanzlei gearbeitet. Zusammen mit ihrer Schwester Sabine hatte sie nach einer ziemlich traumatischen Trennung in Quinn Urlaub gemacht und Rory bei einem Abendessen im Cockleshell Inn kennengelernt. Als Rory Feierabend und Julia Dessert und Kaffee intus hatte, saßen sie noch lange zusammen an der Bar und redeten. Und am Ende der Ferien war Sabine ohne ihre Schwester wieder nach München gereist.
Julia war strukturiert, praktisch veranlagt und extrem geschäftstüchtig, vor allem aber warmherzig, humorvoll und bedingungslos loyal. Sie lenkte Rorys aufstrebendes Unternehmen mit fester, aber fairer Hand und führte es durch den Dschungel der Möglichkeiten genau dahin, wo sie heute waren. Und verriet dabei zu keinem Zeitpunkt Rorys Vision oder Integrität.
In Geschäftsangelegenheiten ließ Julia sich niemals von Gefühlen ablenken und blieb stets sachlich. So auch jetzt, nachdem Rory ihr sein neuestes Dilemma geschildert hatte.
»Die ganze Sache ist hochgradig illegal. Wie kannst du sicher sein, dass Frank wirklich der rechtskräftige Vormund des Jungen wird, wenn du ihr das Geld gibst? Und wer sagt dir, dass sie später nicht noch mehr Geld verlangen wird?«
»Da müssten wir uns irgendwas ausdenken. Eine Art Vertrag oder so ...«
»Und wer soll das machen? Welcher deiner Rechtsbeistände würde für so etwas seinen guten Ruf riskieren? Ich kann dir natürlich beim Aufsetzen jeder Art von geschäftlichen Verträgen helfen, Rory. Aber einen Vertrag bezüglich eines Kindes? Und hast du schon daran gedacht, was das für deinen Ruf bedeuten könnte, wenn die Sache rauskommt? Starkoch kauft Kind! Rory ... Das kannst du nicht machen. Du musst dir was anderes einfallen lassen.«
Julia hatte recht. Wie immer.
Was hatte er sich bloß dabei gedacht?
Natürlich würde er alles für seinen Vater tun. Aber das hier wäre der schiere Wahnsinn.
Und dann wachte Sydney auf.
Frank brachte ihn runter ins Büro. Der Junge versteckte sich hinter Franks Beinen und spähte scheu seitlich hervor. Seine kleine braune Hand umschloss die von Frank so fest, als würde er in einen Strudel gesogen und für immer verschwinden, wenn er sie auch nur kurz losließ.
Rory und Julia sahen einander an. Das Mitgefühl stand ihnen ins Gesicht geschrieben.
Dann sahen sie wieder zu dem kleinen Jungen, der ihre besorgten Blicke mit großen, ängstlichen, unschuldigen Augen erwiderte. Wie Bambi bei seinem ersten Ausflug in den unbekannten Wald.
Sie sahen sich lange und tief in die Augen.
Dann lächelte Sydney sie an.
Das Lächeln wurde zu einem Strahlen, das eine Zahnlücke offenbarte und seinen Gegenübern signalisierte, dass der Junge ihnen restlos vertraute.
Rory änderte nicht nur seine Meinung, sondern seine gesamte Lebenseinstellung.
Julia und Rory sahen sich wieder an.
»Ich such dir einen Anwalt«, sagte Julia.
»Und ich besorg das Geld«, entgegnete Rory.
– 5 –
Rory war nicht begeistert, aber ihm blieb nichts anderes übrig. Es war die einzige Möglichkeit, auf die Schnelle das Geld zu beschaffen, das Frank so dringend brauchte: Nun würde sein Projekt für unterprivilegierte Jugendliche eben von einer bunten Mannschaft peinlicher publicitygeiler Promis eingeweiht werden, bevor es eigentlich losging.
Aber immerhin strahlte das große alte Bootshaus unten an der Flussmündung in genau dem Glanz, den Rory sich ausgemalt hatte: Im Erdgeschoss befanden sich eine großzügige, top-moderne Lehrküche, zwei geräumige Klassenzimmer und zwei Büros sowie ein wunderbares, weitläufiges Restaurant mit Blick über den Quinn und offener Küche. Hier würden die Schüler aus dem oberen Stockwerk Essen zubereiten.
Das Restaurant sollte »Trevail« heißen, was eine Mischung aus dem französischen Wort für Arbeit, »travail«, und Rorys Familiennamen
Weitere Kostenlose Bücher