Bitte nicht füttern: Roman (Piper Taschenbuch) (German Edition)
Javier wäre in den zielstrebigen Augen der Riveras ein Geschenk des Winzerhimmels. Selbst ihre Mutter, die wesentlich weniger berechnend war, verweilte inzwischen beim Einkaufen vor den Hochzeitszeitschriften. Das hatte sie seit fünf Jahren nicht getan, nämlich seit ihre älteste Tochter Catalina mit nur dreiundzwanzig eine Hochzeit gefeiert hatte, die selbst die letzte der Royals in den Schatten gestellt hätte.
Wenn ihre Eltern wirklich glaubten, auch sie würde schon bald auf einen Altar zuschreiten, dann hatten sie sich mächtig geschnitten. Sie gönnte ihrer Schwester ihr Glück von Herzen, und Catalina war glücklich. Überglücklich sogar. Sie hatte einen attraktiven Mann, zwei kerngesunde Töchter, und sie tat alles, um einerseits die eigene Familie noch zu vergrößern und andererseits Seite an Seite mit ihrem Mann im Familienunternehmen mitzuarbeiten.
Aber das war es nicht, was Linda für sich wollte.
Sie hatte ganz andere Pläne.
Sie wollte die Welt entdecken.
Sie wollte reisen. Diese Leidenschaft hatte sie von ihrem französischen Großvater geerbt, der sie schon von klein auf mit seinen Geschichten aus fremden Ländern fasziniert hatte.
Ihre Lieblingsfächer in der ansonsten sterbenslangweiligen Schule waren Erdkunde und Sprachen gewesen. Ihr anschließendes Sprachenstudium hatte sie im Vorjahr mit Auszeichnung abgeschlossen und seither für ihren Vater gearbeitet und jeden Cent zur Seite gelegt. Parallel dazu hatte sie ihre Reiseroute geplant, sich im Internet die günstigsten Flüge und Backpacker-Hostels herausgesucht und über diverse soziale Netzwerke und Freunde von Freunden von Freunden einige vertrauenswürdige Anlaufstellen in fremden Gefilden gefunden.
Sie war durch und durch vorbereitet.
Nur eine winzige Kleinigkeit fehlte ihr noch, nämlich die Erlaubnis ihrer Eltern.
Kann das möglich sein? Eine junge Frau von dreiundzwanzig Jahren? Im einundzwanzigsten Jahrhundert? Sicher, aber ... So entzückend Antonio Rivera auch war, er war sehr altmodisch. Die Vorstellung, sein jüngstes Kind allein durch die Welt reisen zu lassen, war für ihn schier unerträglich, und darum hatte er seine Zustimmung zu diesem Abenteuer bisher standhaft verweigert.
Dabei war Linda doch die Jüngste! Sie hatte wirklich erwartet, es bei ihrem gütigen, aber doch recht autoritären Vater leichter zu haben als ihre Geschwister. Aber aus irgendeinem unerfindlichen Grund erwachte bei ihm jetzt offenbar noch einmal sein Beschützerinstinkt. Ihre Mutter nannte sie tatsächlich und peinlicherweise immer noch »Kleines«! Am liebsten würde Linda bei solchen Gelegenheiten laut aufschreien und ins nächste Flugzeug hüpfen.
Aber sie hatte großen Respekt vor ihren Eltern und wollte nicht ohne ihr Einverständnis aufbrechen. Zunächst beschloss sie also, für eine Weile im Familienunternehmen mitzuarbeiten, und machte damit ihren Eltern eine große Freude. Gleichzeitig betete sie für ein Wunder, das die mittelalterlichen Ansichten ihrer Eltern beenden und sie selbst in eine Welt der ungeahnten Möglichkeiten katapultieren würde.
In eine Welt voller Überraschungen, kribbelnder Aufregung und neuer Erfahrungen.
In eine Welt ohne Javier.
Ohne den Javier, der sich gerade völlig unbeeindruckt zeigte von Lindas mangelnder Kussbegeisterung und der sein Vorhaben beharrlich weiterverfolgte.
In diesem Moment kamen ihr die konservativen Ansichten ihres Vaters ausnahmsweise mal sehr gelegen.
Antonio hatte seine Tochter und den jungen Mann im Garten gesehen. Die Absichten des jungen Mannes standen ihm förmlich ins Gesicht geschrieben, weshalb Antonio einen kleinen Spaziergang über die Ländereien unternahm und sich an der rechten Stelle kurz, aber unmissverständlich räusperte. Javier ließ von Linda ab und richtete seine Aufmerksamkeit auf den eleganten Herrn, der ihn aus seinen kohlschwarzen Augen warnend ansah.
»Es ist schon spät, Linda.« Antonio Rivera richtete diese Information zwar an seine Tochter, meinte damit aber genauso deren Verehrer. »War ein anstrengender Tag heute, und morgen haben wir auch wieder viel zu tun.«
»Natürlich, Papá.«
»Gute Nacht, Javier.« Antonios Stimme war freundlich, der Blick, mit dem er den jungen Mann bedachte, scharf. Offenbar hoffte Javier auf ein paar ungestörte Sekunden und einen Gutenachtkuss.
»Gute Nacht, Señor.«
Javier Cortez’ Enttäuschung war genauso wenig zu übersehen wie sein sehnsuchtsvoller Blick auf Lindas zartroten Mund. Er warf ihr eine Kusshand
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