Bitte Zweimal Wolke 7
steht auf. »Ich muss los. Oma hat sich in den Finger geschnitten und kann heute keine Frühlingsrollen falten. Magst du nicht mitkommen und mir helfen?«
An jedem anderen Tag wäre ein bisschen Küchendienst eine willkommene Abwechslung gewesen. Aber heute kann ich mir diesen Trubel nicht antun. Ich will einfach nur allein sein. Ich schüttele den Kopf.
»Na gut. Dann melde ich mich später wieder bei dir.« Kim drückt mir einen Kuss auf die Wange und geht zur Tür. »Ach übrigens. Ich soll dir noch was geben.« Sie zieht einen Zettel aus ihrer Umhängetasche und faltet ihn umständlich auseinander.
Ich starre auf den Text.
Penelopa Ulixi suo salutem dicit
.
Si tu vales, bene est. Ego ipsa non valeo. Hanc epistulam Penelopa tua amore mota tibi non redeunti mittit, Ulixes. Heu me miseram!
»Woher hast du das?«
»Ich habe deinen Lateinlehrer getroffen. Unten vor der Haustür.«
»Harry – äh – ich meine Alex war hier?«
»Er sagte, ihr hattet eine Verabredung.« Kim nickt.
»Oh verdammt. Nachhilfe. Das habe ich ja komplett vergessen. Und wo ist er jetzt?«
»Ich habe ihn nach Hause geschickt.«
»Du hast was?« Ich fasse es nicht.
»Ich habe ihm gesagt, dass du krank bist, dass es dir nicht gut geht und ich dich besuche. Dass Nachhilfe aber heute definitiv ausfallen muss.« Kim strahlt mich an.
»Und das hat er dir geglaubt?« Sonst gibt Alex nicht so schnell auf.
»Ob er es geglaubt hat, weiß ich nicht. Aber er hat mir den Zettel für dich gegeben. Und ich soll dir einen schönen Gruß ausrichten und dir viel Spaß beim Übersetzen wünschen. Im Bett hättest du ja viel Zeit dafür, hat er gesagt.«
Das klingt schon eher nach Alex, dem Tyrannen.
»Der Typ sieht übrigens wirklich aus wie Harry Potter. Wenn ich nicht schon Leon hätte, könnte ich echt schwach werden.« Ich verdrehe die Augen. Dann werfe ich noch einen letzten Blick auf das DIN-A-4 Blatt, das komplett mit lateinischem Text bedruckt ist.
So weit kommt es noch.
»Alex will morgen um die gleiche Zeit wieder hier sein. Soll ich dir ausrichten. Wenn du noch krank bist, sei bitte so nett und sag ihm rechtzeitig ab. Ich muss jetzt nach Hause, Papa helfen. Sehen wir uns heute Abend am Strand?«
Heftig schüttele ich den Kopf. Auf gar keinen Fall will ich Stefan und den anderen begegnen.
»Na gut. Ich lasse mir was anderes einfallen. Ich ruf dich an, wenn ich fertig bin, okay?« Kim wirft mir eine Kusshand zu und weg ist sie.
Sollte Papa sich darüber aufregen, dass ich die Nachhilfestunde verpasst habe, sein Pech! Ich drehe mich um und schaue in den Spiegel. Mein Spiegelbild guckt mich aus verquollenen Augen an. »Was ist eigentlich mit dir los, Karolin Schreiber?«, frage ich das verheulte Gesicht. »Weißt du überhaupt noch, was du willst?«
»Damian«, murmelt mein Spiegelbild. »Ich will Damian.«
»Damian, Damian«, äffe ich mein Spiegelbild nach. »Das hättest du dir früher überlegen müssen. Damian gibt es nicht mehr. Aus. Schluss. Vorbei. Du musst die Tatsache akzeptieren, dass ein für alle Mal Schluss ist.«
Leider war ich noch nie besonders gut im Tatsachenakzeptieren. Der Kaiser sagt das auch immer, wenn ich mit ihm über das Ergebnis einer Matheaufgabe streiten will.
Sobald Kim sich meldet, werde ich mit ihr zusammen einen Plan entwickeln, wie wir Damian finden können. Ha! Ich strecke meinem Spiegelbild die Zunge raus und forme mit den Fingern meiner rechten Hand das Okay-Zeichen, das Markus uns im Tauchkurs beigebracht hat. Dann nehme ich das Blatt mit dem Übersetzungstext in die Hand. Irgendwie muss ich die Zeit bis zum Abend ja totschlagen. Warum also nicht damit, ein paar Prädikate zu finden und ACIs zu enttarnen.
Ich schnappe mir mein Wörterbuch und lege mich mit einem Zettel und Stift bewaffnet auf mein Bett.
PenelopaUlixi suo salutem dicit
. Wo ist das verflixte Prädikat? Ich brauche fast eine Stunde, bis ich bei der letzten Zeile des ziemlich langen Textes angekommen bin. Obwohl Latein immer mein Hassfach Nummer eins bleiben wird, hat mich der Text doch mehr und mehr gefangen genommen. Es ist ein Brief. Ein fiktiver Brief, den Penelope, die sehnsüchtig auf ihren Mann Odysseus wartet, so an diesen geschrieben haben könnte.
Heu me miseram!
Ach, ich Unglückliche!
Dieser Satz könnte echt von mir sein. Bei dem Gedanken muss ich grinsen. Alex wäre stolz auf mich. Blöderweise finde ich das Prädikat des letzten Satzes nicht. So schwer kann das doch nicht sein. Ich gehe noch mal Wort für Wort
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