Die Spur des Spielers
Unterm Hammer
»Zwanzig Dollar sind geboten. Zwanzig Dollar für diesen herrlichen alten Spiegel aus Europa. Höre ich mehr? Überlegen Sie, meine Damen und Herren, wessen Antlitz er einst gespiegelt haben mag! Gräfinnen und Fürsten, Königinnen und Kaiser ... wer weiß, welche Geschichte dieses edle Stück hat! Also, bietet jemand mehr als zwanzig Dollar? Niemand? Na schön, wie Sie meinen. Zwanzig Dollar zum Ersten ... zwanzig Dollar zum Zweiten ... und zwanzig Dollar zum Dritten!« Titus Jonas ließ den Holzhammer auf die Oberfläche des Rednerpults sausen. »Verkauft an die Dame mit dem Hut. Herzlichen Glückwunsch!«
Die Käuferin erhob sich von ihrem Stuhl, trat vor und entrichtete bei Tante Mathilda, die neben dem Rednerpult hinter einem Schreibtisch saß, den fälligen Betrag. Bob Andrews wickelte den Spiegel zum Schutz in Papier ein und überreichte ihn der Dame. Sie bedankte sich und kehrte an ihren Platz zurück.
Bob ließ seinen Blick über den sonnenbeschienenen Schrottplatz wandern. Er konnte sich nicht erinnern, ihn je so voller Menschen gesehen zu haben. Justus’ Tante Mathilda hatte vor ein paar Wochen geklagt, dass das Gebrauchtwarencenter, wie der Schrottplatz offiziell hieß, langsam aus allen Nähten platze. Sie hatte einen Sonderverkauf vorgeschlagen, doch dann war Onkel Titus auf die Idee mit der Versteigerung gekommen: Die würde sogar noch mehr Kunden anlocken und wäre eine tolle Werbung für das Unternehmen.
Tagelang hatte Tante Mathilda ihren Neffen und seine beiden Freunde Bob und Peter über den Schrottplatz gescheucht, um Ordnung zu schaffen und gleichzeitig interessante Stücke für die Versteigerung auszusuchen. Es ging vor allem darum, Ladenhüter loszuwerden. Diese waren sorgfältig mit echten Hinguckern gemischt worden, damit die Leute nicht das Gefühl hatten, dass nur Ramsch unter den Hammer kam. Zweihundert Stücke hatten die vier gemeinsam ausgesucht: ein altes Grammofon, körbeweise Sammeltassen, eine Schaufensterpuppe, Möbel aus einem Theaterfundus, Steinfiguren für den Garten, einen alten Mixer, den Spiegel, der gerade verkauft worden war - eben alles, was der Schrottplatz hergab.
Nun standen die ganzen Sachen unter Bobs Aufsicht auf mehreren Tischen neben dem Rednerpult von Onkel Titus, damit die Leute sie sich in Ruhe ansehen konnten, bevor sie mitboten. Weiter hinten verkauften Justus und Peter Kaffee, kalte Getränke, Hotdogs und selbst gebackene Muffins.
Auf dem Platz selbst hatten sie achtzig Stühle aufgestellt, die fast alle besetzt waren. Unter den Sonnenschirmen am Rand standen noch mehr Leute. Ein paar Kinder aus der Nachbarschaft saßen sogar oben auf dem Holzzaun, der das Gelände umschloss, um besser sehen zu können. Die Auktion war ein voller Erfolg!
Tante Mathilda war selig. Ein paar Blumenvasen, die alten Schellackplatten und die scheußliche Clownpuppensammlung hatten schon einen neuen Besitzer gefunden. Viel Geld hatten sie zwar nicht gebracht, aber das war nicht so wichtig - Hauptsache, das Zeug war endlich weg!
Während Onkel Titus das nächste Stück versteigerte - eine weiß-orange Stehlampe aus den Sechzigern kam ein großer, breitschultriger Mann mit einer Sporttasche in der Hand zu Bob an die Ausstellungstische. Er trug eine rote Baseballkappe und unter seiner halb geschlossenen Kapuzenjacke ein weißes T-Shirt mit einem aufgedruckten Logo, das aber nicht genau zu erkennen war. Seine Augen waren hinter einer verspiegelten Sonnenbrille verborgen. Bob musste spontan an seinen Sportlehrer denken.
Der Mann stellte die Tasche auf den Boden und betrachtete eingehend ein Schachbrett samt Figuren, das auf dem Tisch stand. Es war ein schlichtes, aber sehr schönes Spiel, das ganz aus Holz gearbeitet war. Ein kleines Kästchen zum Transport der Figuren gehörte auch dazu.
»Ich will das Schachspiel da haben«, sagte der Mann nach einer Weile. »Wie teuer?«
»Das wird sich noch zeigen«, erklärte Bob. »Mit etwas Glück können Sie es für einen Dollar ersteigern. Aber ich schätze, dass noch ein paar mehr Leute mitbieten werden. Für wie viel es am Ende verkauft wird, kann ich Ihnen leider nicht sagen.«
»Ich will es aber jetzt gleich kaufen.«
»Tut mir leid, Sir, aber das geht nicht, heute wird hier nur versteigert.«
»Ich zahle fünfzig Dollar.«
»Das wäre wahrscheinlich ein guter Preis, aber es haben vorhin schon ein paar andere Leute ein Auge darauf geworfen. Einer hat mir die gleiche Frage gestellt und ich musste ihn ebenfalls
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