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Weisser Oleander

Weisser Oleander

Titel: Weisser Oleander Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janet Fitch
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1

    Die heißen Santa-Ana-Winde wehten aus der Wüste herüber und dörrten die letzten Frühlingshalme zu bleichem Stroh. Nur die Oleanderbüsche gediehen, die zarten, giftigen Blüten, die Blätter scharf wie Dolche. In den heißen, trockenen Nächten konnten wir nicht schlafen, meine Mutter und ich. Ich erwachte um Mitternacht und sah, dass ihr Bett leer war. Ich fand sie auf dem Flachdach; ihr blondes Haar leuchtete weiß wie eine Flamme im Licht des Dreiviertelmondes.
    »Oleanderzeit«, sagte sie. »Liebende, die sich jetzt gegenseitig umbringen, werden es auf den Wind schieben.« Sie hielt ihre schmale, lange Hand in die Höhe, spreizte die Finger und ließ den trockenen Wüstenwind hindurchwehen. In der Zeit der Santa Anas war meine Mutter nicht sie selbst. Ich war zwölf Jahre alt und hatte Angst um sie. Ich wünschte mir, dass es wieder so wäre wie früher, dass Barry hier wäre, dass der Wind aufhörte zu wehen.
    »Du solltest ein bisschen schlafen«, schlug ich ihr vor.
    »Ich schlafe nie«, sagte sie.
    Ich setzte mich neben sie, und wir blickten auf die Stadt hinunter, die wie ein Computerchip in einer rätselhaften Maschine summte und glitzerte und ihr Geheimnis wie ein Pokerspieler vor uns verbarg. Der Saum ihres weißen Kimonos flatterte im Wind, und ich konnte ihre Brust sehen, tief und voll. Ihre Schönheit war wie die Schneide eines sehr scharfen Messers.
    Ich legte den Kopf auf ihr Bein. Sie roch nach Veilchen. »Wir sind die Stäbe«, sagte sie. »Wir streben nach Schönheit und Harmonie. Wir suchen das Sinnliche, nicht das Sentimentale.«
    »Die Stäbe«, wiederholte ich. Sie sollte wissen, dass ich ihr zuhörte.
    Unsere Tarotfarbe, die Stäbe. Sie legte mir immer die Karten und erklärte ihre Farben – Stäbe und Münzen, Kelche und Schwerter –, doch sie hatte aufgehört, sie zu deuten. Sie wollte nichts mehr über die Zukunft wissen.
    »Wir haben unsere Farbe von den Nordländern«, sagte sie. »Haarige Wilde, die ihre Götter in Stücke hackten und das Fleisch an den Bäumen aufhängten. Wir sind diejenigen, die Rom geplündert haben. Fürchte nur die Schwäche des Alters und den Tod im Bett. Vergiss nie, wer du bist.«
    »Ich verspreche es«, sagte ich.
    Unter uns in den Straßen Hollywoods heulten die Sirenen und sägten an meinen gespannten Nerven. Während der Santa-Ana-Winde brannten die Eukalyptusbäume wie riesige Kerzen, ölfette Chaparral-Hänge gingen plötzlich in Flammen auf und trieben halbverhungerte Kojoten und Hirsche bis hinunter zur Franklin Avenue.
    Sie hob ihr Gesicht zum angesengten Mond empor und tauchte es in seinen finsteren Schein. »Rabenaugenmond.«
    »Käsecräckermond«, erwiderte ich, den Kopf auf ihr Knie gelegt.
    Sie strich mir sanft über das Haar. »Verrätermond.«
    Diese Verletzung – dieser Wahnsinn – wäre im Frühjahr gar nicht vorstellbar gewesen, doch sie hatte vor uns gelegen wie eine verborgene Landmine. Damals hatten wir den Namen Barry Kolker noch nicht einmal gehört.
    Barry. Als er auftauchte, war er so klein gewesen. Kleiner als ein Komma, unbedeutend wie ein Hüsteln. Irgendjemand, den sie mal auf einer ihrer Lesungen getroffen hatte. Es war im Garten eines Weinlokals in Venice gewesen. Wie bei all ihren Lesungen trug meine Mutter Weiß; ihr Haar hob sich wie Neuschnee von ihrer leicht gebräunten Haut ab. Sie stand im Schatten eines gewaltigen Feigenbaumes, der seine Blätter wie Hände über sie streckte. Ich saß an einem Tisch hinter den Bücherstapeln, die ich nach der Lesung verkaufen sollte, dünne Bände, die bei der Blue Shoe Press in Austin, Texas, erschienen waren. Ich zeichnete die Hände des Baumes und die Bienen, die das Fallobst umschwärmten, die gegorenen Früchte aussaugten und berauscht zu Boden taumelten, wenn sie versuchten, wieder wegzufliegen. Ihre Stimme machte mich betrunken, tief, sonnengewärmt, mit der Spur eines fremdartigen Akzents; schwedischer Singsang, der noch eine Generation später nachklang. Wer sie einmal gehört hatte, kannte die Macht dieser hypnotisierenden Stimme.
    Nach der Lesung umdrängten die Leute uns und gaben mir Geld für die Zigarrenkiste, während meine Mutter einige Bücher signierte. »Ach – das Dichterleben!«, sagte sie ironisch, als mir die Leute ihre zerknitterten Ein- und Fünf-Dollar-Scheine in die Hand drückten. Doch sie liebte Lesungen, genauso wie sie die langen Abende liebte, an denen sie mit ihren Schriftstellerfreunden bei einem Glas Wein und einem Joint bekanntere

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