Bitte Zweimal Wolke 7
durch, aber es gibt nicht eine einzige Vokabel, die hier als Prädikat infrage kommt. Ich fluche. Jetzt bin ich schon so weit, da will ich auch den Rest übersetzen. Noch einmal schlage ich jedes einzelne Wort aus der letzten Zeile nach. Verdammt noch mal, das muss doch zu finden sein. Einer inneren Eingebung folgend, drehe ich das Blatt mit dem lateinischen Text um – und breche zusammen. Das Blatt hat auch eine Rückseite.
Fast drei Viertel davon sind ebenfalls mit lateinischem Text bedruckt. Ich bin kurz davor, das Ding zu zerknüllen und in die Tonne zu treten. Was hat Alex sich dabei eigentlich gedacht? Was erwartet er von mir? Dass ich nichts Besseres zu tun habe, als den ganzen Tag in meinem Zimmer zu sitzen und lateinische Briefe zu übersetzen? Ich habe für die erste Seite jetzt eine Stunde gebraucht, ich habe so was von überhaupt keine Lust, auch nur eine weitere Zeile zu übersetzen.
Ich greife zu dem Blatt Papier und will es in tausend kleine Fetzen zerreißen, als mein Blick auf eine handschriftliche Anmerkung unter dem getippten Text fällt.
Mein Herzschlag setzt für einen Moment aus. Und noch für einen zweiten. Dort steht:
Viel Spaß beim Übersetzen wünscht Damian17
.
Ich schließe die Augen und traue mich nicht, sie wieder aufzumachen, aus Angst, die Unterschrift könnte dann plötzlich verschwunden sein. In meinem Kopf rasen die Gedanken wie wild durcheinander. Irgendwann muss ich dann doch blinzeln. Ich öffne erst das eine, dann das andere Auge. Es steht immer noch da.
Viel Spaß beim Übersetzen wünscht Damian17
. Ich springe auf und fange an, in meinem Zimmer auf und ab zu hüpfen.
Damian17. Damian17. Damian17.
Damian 17 hat meine Übersetzungsaufgaben unterschrieben. Alex hat Kim die Hausaufgaben gegeben. Alex, Damian. Damian, Alex. Ich bleibe wie angewurzelt stehen. Alex
ist
Damian. Und Damian
ist
Alex. Ich hole tief Luft. Die Chatadresse. Ich erinnere mich an den Moment, als Alex bei der ersten Nachhilfestunde die Adresse auf meinem Schmierzettel entdeckt hat. Ich erinnere mich daran, dass Damian im Chat meinte: »Latein kann auch Spaß machen.«
Ich muss laut lachen und will ich nur noch raus hier. Ich reiße meinen Schlüssel vom Schreibtisch, stecke mir das Handy in die Hosentasche und renne aus der Wohnung. Ich stürze die Treppe hinunter und kann gerade noch verhindern,dass ich meinen Vater über den Haufen renne, der eben zur Haustür hereinkommt.
»Karo, brennt’s? Wo willst du denn hin?«
Ich bleibe nicht stehen. »Ich muss schnell in einen Buchladen!«, rufe ich ihm über die Schulter zu. »Ich brauche dringend ein neues Wörterbuch für Latein. Sonst kann ich den Brief nicht fertig übersetzen.«
Ich höre, dass Papa etwas von »Die Hormone, die Hormone« murmelt, und finde, zum ersten Mal in diesem Sommer hat er recht.
Wenn ich jetzt auch nur noch ein einziges Stückchen von der Hochzeitstorte in meinen Mund stecke, dann platze ich. Oder ich werde so dick, wie Anna bald sein wird.
Ich werfe ihr einen verstohlenen Blick zu. Noch sieht man ihr die Schwangerschaft nicht an, nicht in dem cremefarbenen Brautkleid und den kleinen dazu passenden Röschen im Haar.
Die Trauung hat wirklich am Meer stattgefunden, ganz so, wie Anna es sich gewünscht hat. Der Standesbeamte und seine Helfer hatten unter den Blicken der vielen badenden und sich sonnenden Sommergäste einen Tisch durch die Fußgängerzone von Westerland bis an den Saum des Wassers geschleppt und alle für die Trauung nötigen Utensilien daraufgelegt und mit großen Kieselsteinen beschwert. Dann gingen Papa und Anna barfuß Arm in Arm über den Strand und die Badegäste säumten ihren Weg und bewarfen sie mit Blütenblättern.
Um mich für den Verlust des Campingwochendes zu entschädigen, hat Papa meine Freundin Kim und auch Alex einfach mit nach Sylt eingeladen. Während der Hochzeitszeremoniemusste ich Alex die ganze Zeit anschauen. Er sah so süß aus, wie er da mit hochgekrempelten Hosen im Sand stand und gegen die Sonne und den Wind blinzelte.
Nach der Trauung hat Papa uns dann alle zusammen in einem Strandbistro zum Essen eingeladen.
Kim schubst mich unter dem Tisch an. »Hey, wenn du so weiter isst, platzt dein neuer Rock noch«, flüstert sie mir ins Ohr.
»Na und«, flüstere ich zurück. Ich sehe Papa und Anna, die sich mit alkoholfreiem Sekt zuprosten, und muss lachen. Nächstes Jahr wird Anna ein Baby bekommen und ich freue mich darauf.
Papa hat mir versprochen, bald eine größere Wohnung
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