Bitter im Abgang
weniger Tage überall herumsprechen, dass es Moresco war, der Virginia losgeschickt hatte, von Hof zu Hof, von Unterschlupf zu Unterschlupf, um allen die Nachricht zu bringen, dass eine Razzia unmittelbar bevorstand und die Deutschen zusammen mit den Faschisten auf dem Weg in die Berge waren, von Alba aus, auf der Straße nach Treiso. Vittoria hatte protestiert, ihre Schwester sei inzwischen zu bekannt, alle wüssten, dass sie zu den Partisanen gehöre, deshalb sei es besser, wenn man sie, Vittoria, schicke. Aber Moresco hatte nur schroff erwidert: «Gerade weil sie die Partisanen kennt und von den Spitzeln unterscheiden kann, muss Virginia gehen.» Dann, als man sie geschnappt hatte, schickte er einen Trupp los, um sie zu befreien. Vielleicht aus Ehrgefühl, vielleicht auch weil er wusste, dass er sie in große Gefahr gebracht hatte. Aber die in der Kaserne hatten Maschinengewehre, und so musste der Trupp bei den ersten Salven unverrichteter Dinge wieder abziehen.
Braida stellte keine weiteren Fragen. Er wusste selbstnur zu gut, wie die Faschisten Virginia gefoltert hatten. Es hieß, selbst die Brüder Vergnano, die Schande von Alba, seien entsetzt gewesen und hätten versucht, ihre Qualen abzukürzen; schließlich mussten die beiden in der Stadt weiterleben und wollten diesen Makel nicht ihr Leben lang mit sich herumtragen. Alberto wusste, was seinem Freund durch den Kopf ging, und wollte ihn ablenken. Deshalb begann er aus einem Brief zu zitieren, und zwar so flüssig, dass Amilcare einen Augenblick dachte, er würde ablesen, auch wenn es inzwischen so dunkel war, dass man nichts mehr sehen und selbst den Belbo nur noch hören konnte.
«Auch wenn wir voneinander getrennt sind, soll meine Liebe immer bei Dir sein wie ein heiterer Gedanke am Ende trauriger Tage oder wie ein Freund, der Dir Gesellschaft leistet, wenn Du einsam bist. Ich hoffe, dass meine Liebe nützlich ist wie ein Schultertuch, das Du umlegst, wenn Dir kalt ist, und das Du ablegst, wenn Du fortfliegst, leicht und frei. Aber pass auf, dass Du sie nicht vergisst, nicht irgendwo liegenlässt. Behandle sie mit Sorgfalt, wenn Du mit ihr unterwegs bist, pass auf, dass sie sich nirgendwo wehtut, schütze sie vor indiskretem Gerede. Denk daran, dass meine Gedanken Dich stets begleiten, dass mein Herz Dir gehört, und wo immer Du bist, da will auch ich sein.»
30
Alba,
Montag, 26. April 2011, 18 Uhr
«Eins!»
Mit fordernder Stimme zählte Sylvie die Schläge und beugte sich lustvoll stöhnend nach vorne.
«Zwei!»
Anfänglich hatte Roberto Moresco gezögert. Dann aber hatte er begriffen, dass er es nicht für sich tat, sondern für sie.
«Drei!»
Sylvies schmaler Rücken bekam Streifen.
«Vier!»
Langsam begann auch Roberto, Gefallen daran zu finden. Für ihn war es nicht das erste Mal, aber nie mit einer solchen Klassefrau wie Sylvie.
«Fünf!»
Die schönste Stelle ihres Körpers war da, wo sich die schmale Taille zu einem schönen, weißen Hintern rundete, auf dem sich rote Striemen abzeichneten.
«Sechs!»
Roberto schlug weniger fest zu, weil er das Wunderwerk nicht verderben wollte.
«Fester! Sieben!»
Sylvie stieß einen Schmerzensschrei aus. Er machte Anstalten, sich zu entschuldigen.
«Acht!»
Sie nahmen sich mit verzweifelter Intensität. Danach drückte er sie an sich und begann, ihr ins Ohr zu flüstern. Diesmal erzählten sie sich alles ohne Vorbehalt, mit der absoluten Offenheit eines Mannes und einer Frau ohne Scham. Sie lagen lange Arm in Arm, für eine Zeit ohne Minuten und Stunden, und unterhielten sich flüsternd.
31
Alba,
Samstag, 21. April 1945, 7.30 Uhr
Sobald er den Mann hinter dem Gitter erkannte, zwang sich Pater Bergoglio äußerlich zur Ruhe. Aber innerlich spürte er Abscheu und Abwehr. Wie hart ist doch der Beruf des Priester, dachte er. Und er machte sich bereit, zuzuhören und wenn nötig zu vergeben.
«Pater, ich bin gekommen, um mich unter euren Schutz zu stellen.»
«Was für ein plötzlicher Sinneswandel. Bis gestern habt ihr noch die Hartgesottenen gespielt, wenn wir euch um das Leben eines Gefangenen gebeten haben.»
«Pater, wir waren im Krieg. Aber jetzt ist der Krieg zu Ende. Mein Bruder ist tot. Ich fürchte um mein Leben.»
«Ich nehme an, du bist gekommen, um zu beichten.»
«Auch.»
«Auch. Was soll das heißen? Das ist ein Beichtstuhl.
Kein Ort, um sich reinzuwaschen. Und erst recht kein Versteck.»
«Um Gottes willen, Pater. Ich bin gekommen, um meine Sünden zu beichten. Aber auch
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