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Bitterzart

Bitterzart

Titel: Bitterzart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabrielle Zevin
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heißt Goodwin, nennt sich aber Win. Ist das nicht total OMG?«
    »Was soll das denn heißen?«
    »Weiß nicht, ist irgendeine Abkürzung. Mein Vater meinte, es hieß früher so was wie ›umwerfend‹ oder so ähnlich. Wusste er nicht mehr genau. Frag mal deine Nana, ja?«
    Ich nickte. Scarlets Vater war Archäologe, der immer nach Abfall roch, weil er seine Zeit damit verbrachte, auf Mülldeponien herumzugraben. Scarlet erzählte noch eine ganze Weile von dem neuen Typen, aber ich hörte nicht richtig zu. Es war mir ziemlich egal. Ich nickte nur hin und wieder und schob die eklige Lasagne auf dem Teller hin und her.
    Ich schaute mich im Speisesaal um. Gable fiel mir ins Auge. Was als Nächstes geschah, hab ich nicht mehr so klar in Erinnerung. Später behauptete Gable, er hätte nichts getan, doch ich war überzeugt, dass er mich fies angrinste und dem Mädchen links neben sich etwas zuflüsterte, dann lachten beide. Daraufhin nahm ich meinen Teller mit der nicht gegessenen Lasagne, lief quer über den Schachbrettboden wie ein verrückt gewordener Turm, und auf einmal hatte Gable Ricottakäse und Tomatensoße auf dem Kopf. (Die Lasagne war immer noch glühend heiß, denn es war gesetzlich vorgeschrieben, alle Lebensmittel auf mindestens achtzig Grad zu erhitzen, um die überhandnehmenden Epidemien zu vermeiden.)
    Er sprang auf, sein Stuhl fiel um. Wir standen uns gegenüber, und es war, als wäre sonst niemand im Speisesaal. Gable fing an zu schreien und beschimpfte mich mit einer Reihe von Namen, die ich hier nicht wiederholen will. Ich verzichte lieber darauf, eine lange Liste von Beleidigungen runterzutippen.
    »Mich ehrt deine Verachtung«, sagte ich.
    Er machte Anstalten, mich zu schlagen, hielt sich aber zurück. »Du bist es nicht wert, Balanchine. Du bist Abschaum, genau wie deine toten Eltern«, sagte er. »Ich sorge lieber dafür, dass du von der Schule geworfen wirst.« Beim Verlassen des Speisesaals versuchte er, die Flecken mit der Hand abzuwischen, doch es funktionierte nicht. Die Soße war überall. Ich musste grinsen.
    Am Ende der achten Stunde wurde ich aufgefordert, nach dem Unterricht im Büro der Rektorin zu erscheinen.
    Eigentlich versuchte jeder zu vermeiden, am ersten Schultag Ärger zu machen, deshalb warteten dort nicht allzu viele Schüler. Die Tür war geschlossen, was bedeutete, dass bereits jemand im Büro war. Auf dem Zweisitzer im Vorzimmer saß ein Typ mit langen Beinen, den ich nicht kannte. Die Sekretärin sagte, ich solle Platz nehmen.
    Der Junge trug eine graue Wollmütze, die er abnahm, als ich an ihm vorbeiging und mich neben ihm niederließ. Er nickte mir zu, ich grüßte zurück. Er warf mir einen Seitenblick zu. »Mit Essen geworfen, ja?«
    »Könnte man so sagen.« Ich war nicht in der Stimmung, mich mit jemandem anzufreunden. Er faltete die Hände im Schoß. Seine Finger waren schwielig, was ich interessant fand, ohne es zu wollen.
    Er musste meinen Blick bemerkt haben, denn er fragte mich, wohin ich guckte.
    »Auf deine Hände«, erwiderte ich. »Die sind ganz schön grob für jemanden aus der Stadt.«
    Er lachte. »Ich komme vom Land, weiter im Norden von New York. Wir haben unser Gemüse früher selbst angepflanzt. Davon kommen die meisten Schwielen. Ein paar sind auch von meiner Gitarre. Ich bin aber nicht besonders gut, ich spiele einfach nur gerne. Den Rest kann ich nicht erklären.«
    »Interessant«, sagte ich.
    »Interessant«, wiederholte er. »Ich bin übrigens Win«, fügte er hinzu.
    Ich drehte mich zu ihm, um ihn genauer anzusehen. Das war also Scarlets neuer Mitschüler? Sie hatte recht. Er war auf jeden Fall keine Beleidigung fürs Auge: groß und schlank. Braune Haut und muskulöse Arme, wahrscheinlich von der Arbeit auf dem Bauernhof, von der er gesprochen hatte. Gutmütige blaue Augen und ein Mund, der offenbar eher lächelte, als die Mundwinkel nach unten zu ziehen. Überhaupt nicht mein Typ.
    Er hielt mir die Hand hin, ich schlug ein. »An…«, begann ich.
    »Anya Balanchine, ich weiß. Heute bist du offenbar in aller Munde.«
    »Ähmm«, machte ich und merkte, dass ich rot anlief. »Dann hältst du mich wahrscheinlich für eine verrückte, süchtige Schlampe und Mafiabraut. Weiß gar nicht, warum du überhaupt mit mir redest.«
    »Ich weiß nicht, wie es hier ist, aber in meiner Heimat ziehen wir selbst unsere Schlüsse über andere Menschen.«
    »Warum bist du hier?«, fragte ich.
    »Das ist eine wirklich große Frage, Anya.«
    »Nein, ich meine

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