Sündhafte Küsse (German Edition)
„Das wurde aber auch Zeit!“ Julian seufzte, als er sich aus dem Fenster der Mietkutsche lehnte und in der Abenddämmerung das prächtige Herrenhaus erblickte. Von der langen Fahrt taten dem jungen Mann sämtliche Knochen weh, weshalb er sich freute, dieses rumpelnde Gefährt endlich zu verlassen.
Shevington Manor, ein dreistöckiges, aus grauem Stein errichtetes Gebäude, lag eingebettet in einer großen Parkanlage mit ausladenden Wiesen, sich schlängelnden Bächen und Wegen, kleinen Seen und natürlichen Gärten. Allein die Landschaftspfleger müssen meinen Bruder ein Vermögen kosten , dachte Julian und fuhr sich durch sein blondes Haar, das ganz durcheinander war, da er in der Kutsche geschlafen hatte. Die Ländereien der Familie Shevington lagen in der Grafschaft Essex, etwa fünfzig Meilen von London entfernt, und erstreckten sich über viele Hektar. Julian hielt seine Nase in die frische Luft und nahm die herrliche Aussicht in sich auf. Kein Vergleich zur Stadt!
Ein eleganter Reiter preschte an der Kutsche vorbei, dicht gefolgt von einem großen Hund. Der Mann saß auf einem edlen Hengst; das schwarze Haar flatterte ihm ums Gesicht. Julian wusste sofort, wer der breitschultrige Gentleman in der Reitkleidung war, der vor dem Eingang des Herrenhauses abstieg: Viscount Shevington, sein großer Bruder!
„Aidan!“, rief Julian aus der Kutsche, und noch bevor der Zweispänner vor den Stufen gehalten hatte, sprang er heraus. „Prince!“ Der schwarze Retriever kam auf Julian zugestürmt und warf ihn beinahe um, als er die Pfoten gegen seine Oberschenkel drückte. Er bellte laut und wedelte heftig mit dem Schwanz.
„Hey, du Rumtreiber, wie geht es dir?“ Julian kraulte das Tier hinter den Ohren, das bald von ihm abließ und sich davontrollte.
„Julian?“ Der große Mann wirkte sichtlich überrascht. Er übergab die Zügel einem herannahenden Burschen und zog sich die ledernen Handschuhe aus, die er seinem Butler in die Hand drückte. „Was machst du hier? Ist etwas mit Mutter oder Marianne?“ Sofort lief Aidan auf ihn zu.
„Nein, es ist alles in Ordnung.“ Julian grinste, als er in die blauen Augen seines älteren Bruders blickte. Zwei Furchen hatten sich zwischen dessen Augenbrauen gebildet, die allerdings verschwanden, als sie sich in die Arme fielen.
Tief atmete Julian den vertrauten, männlichen Geruch ein, den nur Aidan verströmte. Es tat gut, ihm wieder zu begegnen. Julian hatte sich schon immer zu seinem großen Bruder hingezogen gefühlt. Deshalb war es furchtbar gewesen, als vor sieben Jahren ihr Vater starb, woraufhin Aidan das Familienoberhaupt wurde und den Titel erbte. Seitdem hatten sie viel weniger Zeit miteinander verbracht, da Aidan zahlreichen Verpflichtungen nachkommen musste. Und als sein großer Bruder auch noch auf den Landsitz gezogen war, hatten sie sich kaum mehr gesehen.
„Warum hast du mir nicht geschrieben, dass du kommst? Und warum hast du nicht die Familienkutsche genommen?“ Lord Shevington hielt Julian an den Schultern fest und musterte ihn von oben bis unten. „Blendend siehst du aus, Jul. Aus dir ist ein richtiger Mann geworden!“
Aidan hat keine Ahnung, wie viel mir seine Worte bedeuten , sagte sich Julian, als er den Viscount ebenfalls eingehender betrachtete. Aidan trug eng anliegende Breeches, die seine muskulösen Oberschenkel besonders gut zur Geltung brachten. Der Frack betonte die breiten Schultern und zeigte Julian wieder einmal, wie verschieden sie doch waren. Alles an seinem Bruder war kräftig, groß und muskulös, während Jul ihm kaum bis zum Kinn reichte und eher schmal gebaut war.
„Es war ein spontaner Entschluss“, erwiderte Julian, der gerade von einem Lakaien seinen Beutel entgegennahm, bevor sich die Reisekutsche wieder knirschend in Bewegung setzte. „Ich musste raus aus London, sonst hätte ich mich in die Themse gestürzt.“
„Was ist denn passiert?“
Julian verdrehte die Augen. „Mutter.“ Mehr musste er nicht sagen, damit Aidan ihn verstand. Dieser lachte und wirkte dadurch unwahrscheinlich attraktiv auf Julian. Wie sehr ich ihn vermisst habe , ging es dem blonden Mann immer wieder durch den Kopf, obwohl sie sich erst vor einem halben Jahr das letzte Mal gesehen hatten.
Aidan legte einen Arm um seine Schultern und führte ihn die Treppen hinauf. „Komm, Jul, lass uns reingehen. So wie ich dich kenne, musst du am Verhungern sein.“
***
Nachdem Aidan und Julian die Kleidung gewechselt und zu Abend gegessen hatten,
Weitere Kostenlose Bücher