Black Box BER: Vom Flughafen Berlin Brandenburg und anderen Großbaustellen. Wie Deutschland seine Zukunft verbaut (German Edition)
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Denn Gebäude mit architektonischem Anspruch werden nicht in Serie gefertigt wie beispielsweise Autos. Der Auslieferung eines Serienfahrzeugs geht die langwierige und kostenintensive Entwicklung eines Prototyps voraus. Die Entwicklungskosten werden im Verkaufspreis zurückgeholt. Produkte anspruchsvoller Architektur sind demgegenüber prototypisch. Eine Bauaufgabe beruht immer auf spezifischen Anforderungen, die sich aus Erfordernissen der Nutzung, des Klimas, der Ästhetik, der Besonderheiten des Ortes usw. ergeben und die fast jedes Bauwerk zu einem Unikat, zu einem Prototyp werden lassen. Trotzdem erwartet man die Perfektion eines seriell hergestellten Gebrauchsguts: Ein Bauwerk soll ebenso fehlerfrei funktionieren wie ein Kraftfahrzeug. Für die Entwicklung eines Serienfabrikats wird in der Regel ein Vielfaches seines Verkaufspreises aufgewendet. Zum Beispiel betrugen die Entwicklungskosten für ein Fahrzeug der mittleren Baureihe von Mercedes-Benz (W 124) 400 Millionen Euro. Laut Preisliste Nr. 43 kostete im Herbst 1984 die preiswerteste Ausführung (200 D) 16.670,– Euro. Bei einem Gebäude ist es genau umgekehrt. Für die Entwicklungs- oder Planungskosten steht nur ein Bruchteil des Produktwertes zur Verfügung. Die Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) sieht für die wesentlichen Planungsbeteiligten (Architekt, Tragwerksplaner und Planer der technischen Gebäudeausrüstung) ein Honorar von circa 15 Prozent der Baukosten vor. Mit zunehmenden Baukosten verringert sich dieser Prozentsatz.
Ein Automobil wird üblicherweise von einem eingespielten Team entwickelt und in einem Werk produziert, das schon das Vorgängermodell gebaut hat. Im Gegensatz hierzu erarbeiten bei einem Gebäude unterschiedliche, häufig zum ersten Mal zusammenwirkende Planer Lösungen, die von unterschiedlichen Firmen realisiert werden. Auch diese Firmen haben meistens noch nicht in der jeweiligen Konstellation zusammengearbeitet. Da kann es viel Reibungsverluste geben.
Die Prototypik anspruchsvoller Architektur ist ein großes Glück für unsere gebaute Umwelt. Sie erlaubt – oder gebietet – es, dass unsere Städte mit ihren Wohnquartieren und Gewerbegebieten, ihren Sport- und Ausstellungsstätten, ihren Repräsentations- und ihren Verkehrsbauten analogzur Natur ihre eigene Identität ausbilden, ihren unverwechselbaren Charakter, der gleichwohl die Vielfalt bewirkt, die unserem Lebensraum erst die humane Daseinsqualität verleiht.
Trotzdem hat sich die Angewohnheit verbreitet, Architektur wie ein Serienprodukt zu bestellen. Ein »Stück Architektur« kostet x. Diese Gepflogenheit zeigt sich gleich zu Beginn eines jeden Projekts, nämlich im Wettbewerb. Warum ist zum Beispiel heute die Vergabe eines öffentlichen Auftrags an architektonische Nobodys fast ein Ding der Unmöglichkeit? Sollte nicht der Entwurf, also die Kreativität und Güte der Architektur, bei dem Wettbewerb und der anschließenden Preisvergabe ausschlaggebend sein? Töten wir damit nicht den Zauber, der allem Anfang innewohnt? Leider nahm das nationale und internationale architektonische Wettbewerbswesen in den letzten Jahrzehnten Gepflogenheiten an, die es immer mehr in eine Materialschlacht ersten Ranges ausarten ließen. Durch die Mittel der digitalen Kommunikation begünstigt, gibt es nicht selten Bauherren, die an der eigentlichen architektonischen Substanz wenig Interesse finden, mehr dagegen an deren bildlicher Darstellung: »Show me picture!« ist zum geflügelten Satz vieler Bauherren geworden, womit die abziehbildhaften (und damit oberflächlichen) Qualitäten von architektonischen Entwürfen gemeint sind. Architektur als Etikett einer Marketingidee.
Das Reglement von Wettbewerben zeichnet sich zudem durch eine Verschiebung weg von egalitären hin zu rein selektiven Kriterien aus. Eine ganze Kette von Wettbewerbsbeschränkungen und -hürden gilt es zu nehmen, bevor man überhaupt an die eigentliche Bauaufgabe denken kann. Ohne entsprechende Referenzen von realisierten Vergleichsprojekten hat kein Architekturbüro eine reelle Chance, das vorgeschaltete Bewerbungsverfahren zu überstehen. Noch ehe der erste Strich eines Entwurfs getan ist, wird gesiebt, und mancher Bauherr lädt nur in seinen Augen vertrauenswürdige – und das heißt meist: bekannte – Büros zum Wettbewerb. Mit anderen Worten: Entscheidend sind wirtschaftliche Kriterien, die nur wenige Büros erfüllen können. Damit
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