Black Coffee
–«
Er unterbrach sich plötzlich und warf den Kopf zurück, als wäre etwas an sein Ohr gedrungen. Er sandte einen Blick zur Tür, dann zu Raynor, und legte einen Finger an die Lippen, um anzudeuten, daß er glaubte, sie würden belauscht.
Raynor nickte verstehend. Beide schlichen leise zur Tür, wo Poirot dem Sekretär bedeutete, daß er im Zimmer bleiben solle. Dann riß Poirot unvermittelt die Tür auf und war mit einem Satz draußen, kam aber gleich darauf mit allen Anzeichen der Enttäuschung wieder zurück. »Unbegreiflich«, sagte er zu Raynor. »Ich hätte geschworen, daß ich etwas gehört habe. Aber ich habe mich wohl doch geirrt. Passiert mir nicht oft. A votre santé, mon ami .« Er kippte den Inhalt seines Glases in einem Zug hinunter.
»Ah!« machte Raynor laut und trank ebenfalls.
»Wie bitte?« fragte Poirot.
»Nichts. Mir ist nur ein Stein vom Herzen gefallen.«
Poirot ging zum Tisch und stellte sein Glas ab. »Wissen Sie, Monsieur Raynor«, vertraute er dem Sekretär an, »so ganz habe ich mich an Ihr englisches Nationalgetränk, den Whisky, noch immer nicht gewöhnt. Der Geschmack sagt mir nicht zu. Er ist bitter.« Er ging zum Lehnstuhl und setzte sich.
»Ach, wirklich? Das tut mir aber leid, Monsieur. Meiner schmeckte überhaupt nicht bitter.« Raynor stellte sein Glas auf den Couchtisch und meinte: »Wollten Sie mir nicht etwas erzählen?«
Poirot machte ein erstauntes Gesicht. »So, wollte ich das? Was denn nur? Kann ich das schon wieder vergessen haben? Hm, vielleicht wollte ich Ihnen erklären, wie ich bei einer Ermittlung vorgehe. Voyons ! Der eine Sachverhalt führt zum nächsten, also machen wir da weiter. Paßt der übernächste auch noch ins Bild? A merveille ! Gut! Wir können fortfahren. Dann ein kleiner Nebenumstand – nein! Wie seltsam! Da fehlt etwas – ein kleines Glied in der Kette. Wir gehen dem nach. Wir suchen. Und dieser merkwürdige kleine Umstand, dieses vielleicht ganz unbedeutende kleine Teilchen im Puzzle, das nicht passen will, wir legen es einfach mal dahin!« erklärte Poirot mit schwungvoller Geste. »Und siehe, es paßt, es ist sogar wichtig, enorm wichtig!«
»Aha, verstehe«, meinte Raynor skeptisch.
Poirot fuchtelte dem Sekretär mit dem Zeigefinger so dicht vor der Nase herum, daß dieser fast erschrak.
»Ah, hütet euch! Wehe dem Detektiv, der sagt: ›Das ist so unbedeutend – es spielt keine Rolle – ich lasse es außer acht.‹ Auf diesem Wege lauert Ungemach! Alles ist wichtig.« Poirot brach plötzlich ab und tippte sich an die Stirn. »Ach ja, jetzt weiß ich wieder, was ich Ihnen erzählen wollte. Genau um so einen winzigen, scheinbar unbedeutenden Umstand ging es. Es ging – das wollte ich Ihnen erzählen, Monsieur Raynor – um Staub.«
Raynor lächelte höflich. »Staub?«
»Jawohl, Staub«, wiederholte Poirot. »Mein Freund Hastings, er hat mich erst kürzlich wieder darauf aufmerksam gemacht, daß ich Detektiv bin, kein Stubenmädchen. Er fand das witzig, aber ich weiß nicht recht.
Der Detektiv und das Stubenmädchen, schließlich haben sie etwas gemeinsam. Was tut das Stubenmädchen? Es fährt mit dem Besen in alle dunklen Ecken, holt alles wieder ans Tageslicht, was so schön bequem aus den Augen und aus dem Sinn gekullert war. Und tut der Detektiv nicht so ziemlich dasselbe?«
Raynor schien sich zu langweilen, sagte jedoch: »Sehr interessant, Monsieur Poirot.« Er ging zum Tisch und setzte sich dort auf einen Stuhl, dann fragte er: »Aber – war das alles, was Sie mir zu erzählen beabsichtigten?«
»Nein, nicht ganz«, erwiderte Poirot. Er beugte sich vor. »Sie haben mir keinen – wie ihr Engländer so schön sagt – Staub in die Äugen gestreut, Monsieur Raynor. Es war nämlich keiner da. Verstehen Sie?«
Der Sekretär sah ihn forschend an. »Bedaure, nein.«
»Kein Staub auf dem Arzneikasten. Mademoiselle Barbara hatte sich schon darüber gewundert. Aber es hätte Staub darauf sein müssen. Dieser Schrank, auf dem er steht -« Poirot zeigte nach oben – »trägt eine dicke Staubschicht. Und da wußte ich –«
»Was wußten Sie?«
»Da wußte ich«, fuhr Poirot fort, »daß jemand diesen Kasten vor kurzem heruntergenommen hatte. Daß derjenige, der Sir Claud vergiftet hat, gestern abend gar nicht an den Kasten zu gehen brauchte, weil er sich schon vorher mit allem Gift versorgt hatte, das er benötigte, und zwar zu einem Zeitpunkt, als er sicher sein konnte, nicht gestört zu werden. Sie, Monsieur Raynor,
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