Black Dagger 09 - Seelenjäger
Anfall überkam ihn schnell und heftig, schleuderte ihn zu Boden, hielt ihn mit unsichtbaren Armen fest, schüttelte ihn in seiner eigenen Haut herum, bis er ohnmächtig wurde und ihn das brüllende Nichts einholte.
22
Auf der Anderen Seite saß Cormia auf ihrem schmalen Bett. Wartend. Wieder einmal.
Sie löste die Hände in ihrem Schoß voneinander. Verschränkte sie wieder. Wünschte, sie hätte ein Buch, um sich abzulenken. Während sie dort schweigend saß, überlegte sie kurz, wie es wohl wäre, ein eigenes Buch zu haben. Vielleicht würde sie ihren Namen hineinschreiben, damit andere wüssten, dass es ihr gehörte. Ja, das würde ihr gefallen. Cormia. Oder noch besser: Cormias Buch.
Natürlich würde sie es ihren Schwestern borgen, wenn sie wollten. Aber sie würde wissen, während andere Hände es hielten, und andere Augen es lasen, dass der Einband und die Seiten und die Geschichten darin ihr gehörten. Und das Buch würde es ebenfalls wissen.
Sie dachte an die Bibliothek der Auserwählten, mit dem Labyrinth von Regalen und dem wundervollen Ledergeruch und dem überwältigenden Luxus der Worte. Dieser Ort war wahrlich ihr Paradies. Es gab so viele Geschichten
kennenzulernen, so viele Orte, die ihre Augen niemals zu schauen hoffen durften, dabei liebte sie doch das Lernen. Sehnte es herbei. Hungerte danach.
Für gewöhnlich zumindest.
Diese Stunde unterschied sich von den anderen. Auf dem Lager sitzend und wartend wünschte sie sich die Lehrstunde, die ihrer harrte, nicht herbei: Die Dinge, die sie heute erfahren sollte, waren nicht das, was sie lernen wollte.
»Gegrüßt seiest du, Schwester.«
Cormia blickte auf. Die Auserwählte, die den weißen Vorhang im Durchgang zur Seite strich, war ein Muster an Selbstlosigkeit und Dienstbarkeit, eine wahrlich rechtschaffene Vampirin. Und Laylas Ausdruck der stillen Zufriedenheit und des inneren Friedens war etwas, um das Cormia sie beneidete.
Was normalerweise nicht gestattet war. Neid bedeutete, man war getrennt vom Ganzen, man war ein Individuum, und dazu noch ein unbedeutendes.
»Gegrüßt seiest du.« Cormia stand auf, ihre Knie weich vor Furcht vor dem Ort, an den sie nun gehen würden. Obwohl sie sich schon häufig gefragt hatte, was sich innerhalb des Primaltempels verbarg, wünschte sie nun, niemals seine Marmormauern betreten zu müssen.
Beide verneigten sich voreinander und verharrten so. »Es ist mir eine Ehre, hilfreich sein zu dürfen.«
Mit leiser Stimme entgegnete Cormia: »Ich bin … bin dankbar für deine Unterweisung. Geh voran, ich bitte dich.«
Als Laylas Kopf wieder emporgehoben wurde, blickten ihre blassgrünen Augen wissend. »Ich dachte, wir könnten hier ein wenig miteinander sprechen, anstatt sofort zum Tempel zu gehen.«
Cormia schluckte. »Das würde ich sehr gern.«
»Darf ich mich setzen, Schwester?« Als Cormia nickte,
ging Layla zum Bett und setzte sich, die weiße Robe klaffte bis zum Oberschenkel auf. »Setz dich zu mir.«
Cormia tat wie ihr geheißen, die Matratze fühlte sich unter ihr hart wie Stein an. Sie konnte nicht atmen, sich nicht rühren, kaum blinzelte sie.
»Meine Schwester, ich möchte dir deine Furcht nehmen«, sagte Layla. »Wahrlich, du wirst lernen, deine Zeit mit dem Primal zu genießen.«
»Ja.« Cormia zog den Kragen ihres Gewandes höher. »Doch er wird auch andere besuchen, nicht wahr?«
»Du wirst Vorrang haben. Als seine erste Partnerin wirst du mit ihm Hof halten. Für den Primal gibt es eine seltene Hierarchie innerhalb des Ganzen, und du wirst die Erste unter uns allen sein.«
»Wie lange wird es dauern, bis er zu den anderen geht?«
Layla runzelte die Stirn. »Das liegt bei ihm, doch du hast vielleicht eine Stimme in dieser Angelegenheit. Wenn du ihm gefällig bist, bleibt er möglicherweise längere Zeit nur bei dir. So etwas ist schon geschehen.«
»Ich könnte ihm jedoch auch sagen, er möge sich andere suchen?«
Laylas perfekter Kopf neigte sich zur Seite. »Fürwahr, meine Schwester, dir wird zusagen, was sich zwischen euch beiden begibt.«
»Du weißt, wer er ist, nicht wahr? Du kennst ihn, den Primal? «
»Ja, ich habe ihn gesehen.«
»Wirklich?«
»Oja.« Als Laylas Hand nach ihrem hochgesteckten blonden Haar tastete, nahm Cormia die Geste als Zeichen, dass die andere ihre Worte sorgfältig wählte. »Er ist … wie ein Krieger sein sollte. Stark. Und klug.«
Cormia verengte die Augen. »Du verschweigst etwas, um meine Ängste zu beschwichtigen. Ist es nicht
Weitere Kostenlose Bücher