Black, Jenna - Die Exorzistin Bd. 1 - Dämonenkuss
Hier gab es so viele Anhänger des biblischen Glaubens, wonach Dämonen Abgesandte des Satans sind, dass die Hinrichtung von Besessenen noch immer nicht für ungesetzlich erklärt worden war. Und die Bevölkerung wollte für den Fall gewappnet sein, dass sich die Chance auftat, die Welt von solch einer Missgeburt zu befreien.
Was hieß das für mich? Es bedeutete, dass das Personal in dem Center zwar speziell für seine Aufgabe geschult war, aber über nur wenig bis gar keine praktische Erfahrung verfügte. Anzeichen dafür sah ich auf meinem Weg zum Hinrichtungsraum jedenfalls reichlich.
»Mr Jenkins«, sagte ich, als wir vor der Tür zum Hinrichtungsraum Halt machten und er den Nummerncode eintippte. »Warum tragen Ihre Leute bei der Bewachung eines illegalen Dämons keine Handschuhe?« Ein körperloser Dämon braucht das ausdrückliche Einverständnis eines Menschen, um von ihm Besitz zu ergreifen. Ein Dämon, der jedoch bereits einen Wirt gefunden hat, vermag durch bloßen Hautkontakt von einem Menschen auf den anderen überzuspringen. Versucht man, einen illegalen Dämon in Schach zu halten, sollte deshalb im Umkreis von hundert Metern kein Mensch mehr Haut zeigen als unbedingt nötig.
Jenkins sah mich ärgerlich an – jetzt hatte ich auch den letzten Rest Sympathie verspielt. »Ich kann Ihnen versichern, dass wir diesen Dämon vollkommen unter Kontrolle haben, Ms Kingsley.«
Ich hätte ihn ohne weiteres an die vielen Fälle erinnern können, bei denen ein Dämon, den man angeblich »unter Kontrolle« hatte, seinen Bewachern entkommen war und großen Schaden angerichtet hatte. Aber das verkniff ich mir lieber. Der Chef der örtlichen Sicherungseinheit schien mir momentan nicht sehr offen für konstruktive Kritik zu sein.
Die Tür gab ein paar Klick- und Knarrgeräusche von sich, dann schob Jenkins sie auf. Dabei zischte sie leise, als sei der Raum dahinter luftdicht verschlossen gewesen.
Schon dass die Wachleute keine Handschuhe trugen, war mir unprofessionell vorgekommen. Aber ich hatte keine Ahnung, wie unprofessionell es hier zuging – bis ich den Hinrichtungsraum betrat.
Man hatte Lisa Walker auf einen Stahltisch gefesselt. Der Tisch hatte Rollen an den Füßen und stand mit dem Fußende direkt vor zwei schweren Schwingtüren aus Metall, hinter denen die Brennkammer des Hinrichtungsraums lag. So hatte die arme Kleine ständig den Brennofen vor Augen, in dem man sie bei lebendigem Leibe braten würde, falls es mir nicht gelang, sie von ihrem Dämon zu befreien.
Vom vielen Weinen waren die Wimpern und feinen blonden Haare des Mädchens ganz verklebt. Es zitterte vor Angst am ganzen Leib, und sein Anblick versetzte mir einen so heftigen Stich, dass ich mich zwingen musste, nicht laut aufzustöhnen. Ich ermahnte mich, dass dort auf dem Tisch möglicherweise ein Dämon lag, der das Aussehen eines zutiefst verstörten kleinen Mädchens auf Oscarreife Weise nachahmte. Wodurch ich mich kaum besser fühlte.
Selbst wenn das Kind nicht besessen war: Von dieser traumatischen Erfahrung würde es sich vermutlich nie wieder erholen. War es tatsächlich besessen, dann stellte dieser Vorfall einen neuen Tiefpunkt im Verhalten der dämonischen Rasse dar.
Aber es war nicht Lisa Walkers Anblick, der mich am meisten entsetzte, sondern dass am anderen Ende des Raumes ihre Eltern saßen – eng zusammengerückt wie zwei Schiffbrüchige auf einer Bank. Mrs Walker konnte kaum noch aus den Augen gucken, so verquollen waren sie vom vielen Weinen. Und auch Mr Walkers Gesicht war blass und angespannt.
Ich drehte mich wütend zu Jenkins um. »Sie wollen die Eltern zusehen lassen? Sind Sie übergeschnappt?«
Ein Exorzismus ist kein schöner Anblick. Für gewöhnlich geht es dabei nicht ohne Jammern und Schreien ab. Für welches der Dämon sorgt, nicht ich. Außerdem ist es in 75 bis 80 Prozent der Fälle so, dass der Wirt die Prozedur nicht überlebt – oder wenn doch, dann nur als im Wachkoma vor sich hindämmernde Kreatur. Bisher hatte noch niemand eine verlässliche Methode gefunden, um vorherzusagen, welcher Wirt das Verfahren einigermaßen unbeschadet überstehen würde und welcher nicht.
»Das Mädchen ist schließlich die Tochter der beiden«, sagte Jenkins und plusterte sich zu seiner vollen, nicht gerade beeindruckenden Größe auf. »Außerdem müssen sie die Einwilligungserklärung unterschreiben, wenn Sie scheitern.«
Ich sah auf Lisa Walker hinab und spürte, wie sich ein dicker Kloß in meinem Hals bildete.
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