Black, Jenna - Die Exorzistin Bd. 1 - Dämonenkuss
geistesgegenwärtig genug, sie hinter sich zuzuziehen. Der Dämon auf freiem Fuß in den Gängen des Sicherheitscenters, umgeben von diesen grünschnäbligen, bis an die Zähne bewaffneten Wachleuten – dieses Szenario wollte ich mir gar nicht erst ausmalen.
Als ich auf den Tisch hinuntersah, blieb mir fast das Herz stehen.
Lisas dünne Ärmchen und Beinchen wurden von dicken, am Tisch festgeschraubten Stahlklammern gehalten, und auch über ihrem Bauch lag eine große Stahlklammer. Zwar war es ihr noch nicht gelungen, sich aus ihren Fesseln zu befreien, aber sie hatte so stark daran gezerrt, dass sich der Stahltisch verzogen hatte. Blut troff von ihren Knöcheln und Handgelenken – dem Dämon war es offensichtlich egal, wie er diesen wehrlosen kleinen Körper zurichtete. Lisa entblößte die Zähne und fauchte wie eine Katze. Wieder ächzte das Metall.
Ich holte mühsam Luft und schloss die Augen. Wenn ich mich nicht beeilte, würde dieses Ding seine Fesseln sprengen. Und dann konnte es passieren, dass ich selbst zum unfreiwilligen Wirt eines illegalen Dämons wurde.
Schweiß lief mir den Rücken hinunter. Ich versuchte mich zu beruhigen. Mein Leben hing davon ab.
Mich wieder in Trance zurückzuversetzen, fiel mir leichter als erwartet. Erstaunlich, wozu man in der Lage ist, wenn es um Leben und Tod geht. Wieder versuchte ich, die Aura des Dämons mit einem starken Windstoß wegzufegen. Sie erzitterte kurz, blieb aber an ihrem Platz.
Das Metall schien mittlerweile nicht mehr nur zu quietschen und zu ächzen, sondern schon lauthals zu schreien. Ich spürte einen beinah übermächtigen Drang, die Augen zu öffnen und nachzusehen, wie weit dieses Ding mit seinen Befreiungsversuchen bereits gekommen war. Aber ich schaffte es, mich zusammenzureißen.
Eine kleine, zartgliedrige Hand griff nach mir und umschloss meinen Unterarm mit der Kraft einer Schraubzwinge. Doch zwischen der Hand und meinem Arm lag zum Glück der Ärmel meines Pullis – es bestand also kein direkter Hautkontakt.
Ich zwang mich, nicht laut aufzuschreien, und ließ einen weiteren Windstoß auf die Aura niedersausen. Der Dämon quetschte meinen Arm so brutal zusammen, dass ich die blauen Flecken förmlich entstehen sah. Doch irgendwie gelang es mir, in Trance zu bleiben.
Mir brannte die Lunge, und mein Herz raste. Ich hatte so viel Angst, dass ich sie förmlich auf der Zunge schmecken konnte. Aber ich durfte die Angst nicht überhandnehmen lassen – sonst war es aus mit mir.
Ich versuchte meine ganze Kraft zu bündeln, um einen letzten Anlauf zu unternehmen. Wieder schrie das Metall laut auf, und ich wurde von einer zweiten Hand gepackt.
Fast hätte ich die Beherrschung verloren und zu früh meinen nächsten Windstoß auf den Dämon losgelassen. Aber mir blieb nur noch dieser eine Versuch. Gelang es mir nicht, ausreichend Kraft in diesen letzten Stoß zu legen, war ich geliefert. Also unterdrückte ich meine spontane Reaktion und hielt die Konzentration noch ein paar Sekunden länger.
Ich spürte, wie der Stoff an meinem Ärmel riss und Lisas kleine Hand meine nackte Haut berührte.
Ich schrie lauter als jemals zuvor in meinem Leben, gepackt von übermächtiger Furcht und Abscheu. Das war immer meine schlimmste Angst gewesen. Ein Dämon, der in meinen Körper eindringt, sich meiner bemächtigt und alles zerstört, was meine Persönlichkeit ausmacht – ohne mich wirklich zu töten …
Ich ließ meine ganze gesammelte Energie auf den Dämon los, auch wenn ich wusste, dass es eigentlich schon zu spät war. Dämonen brauchen noch nicht einmal die Zeit eines Wimpernschlags, um von einem Körper auf den anderen überzuspringen. In dem Moment, als der Dämon mich berührte, war es bereits um mich geschehen.
Die blutrote Aura schoss meinen Arm hinauf. Doch im Bruchteil einer Sekunde, bevor ich meinen letzten Windstoß abfeuerte, wich sie wieder zurück.
Ich hatte meine ganze Kraft in diesen letzten Stoß gelegt. Die Aura zerbarst in Millionen winzige Farbpunkte – und war verschwunden.
Ich öffnete die Augen und konnte kaum fassen, dass ich tatsächlich noch ich selbst war.
Der Boden schwankte unter meinen Füßen, und meine Beine knickten weg. Alles lief wie in Zeitlupe ab. Trotzdem schaffte ich es nicht rechtzeitig, den Sturz mit den Händen abzufangen. Ich schlug hart mit dem Kopf auf dem kalten Kachelboden auf, und um mich herum wurde es schwarz.
2
Als ich aufwachte, sah ich über mir eine mit weißen Platten getäfelte Decke.
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