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Black Jesus

Black Jesus

Titel: Black Jesus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Felice
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tut mir leid, dass ich sie nicht aufgehalten habe«, stöhnt der Junge. Auf seinen blassen Schläfen steht der Schweiß, die Sonnenbrille steckt auf seinem Gesicht wie ein schlechter Scherz, Babar liegt achtlos auf dem Boden.
    »Black Jesus«, sagt sie und berührt vorsichtig seinen Fuß. »Wach auf, es ist nur ein Traum.« Als er sich nicht rührt, schüttelt sie sein Bein. »Raus aus den Federn, Soldat!«
    In diesem Moment schießt er in seinem Bett hoch, wie ein Vampir aus einem B-Movie, und legt seine Arme um den Oberkörper, als wache er in eisiger Kälte auf.
    »Wer bist du?«, fragt er mit entrückter Stimme.
    »Ich bin’s, Gloria. Du bist in Sicherheit. Es ist nur ein Traum.«
    »Nein, ist es nicht«, sagt er, und etwas in seiner Antwort lässt sie erschaudern. »Wo ist meine Mutter?«, sagt er.
    »Sie ist draußen, zusammen mit Joe. Der Wind hat die Planen aus der Befestigung gerissen und bläst alle Sachen weg.«
    »Ich brauch meine Pillen.«
    Gloria antwortet nicht.
    »Kannst du sie für mich holen?«, sagt er.
    »Bist du sicher, dass du diese Dinger wirklich nehmen willst? Sie können nicht gut für dich sein.«
    »Was soll ich denn sonst nehmen?«
    Die Stripperin weiß nicht, was sie darauf antworten soll.
    »Bitte, Gloria.«
    »Wo sind sie?«
    »Mama verwahrt sie neben dem Waschbecken.«
    Als sie wieder die Leiter hinaufklettert, die Pillen in ihrer Hosentasche, ein Glas Wasser in der freien Hand, hört sie in ihrem Kopf Bea Two-Feathers Stimme: Ein Zaun, damit die Trauer nicht rauskommen kann.
    Es gibt so viele Arten von Zäunen, denkt die Ausreißerin, als sie oben auf der Leiter ankommt. Weiße Holzzäune. Elektrische Zäune. Stacheldraht. Stripstangen. Tarnanzüge in der Wüste. Schmerzmittel. Altersheime. Wo zum Teufel ist da der Unterschied?
    Nun sitzen sie Seite an Seite auf Lionels Bett. In ihrer Abwesenheit muss der Junge aufgestanden sein und auf dem Boden nach Babar gefischt haben, weil der ausgestopfte Elefant nun inmitten der Bettbezüge und Polyesterdecken thront, die Goldkrone mit den schlaffen Zacken auf dem Kopf, die weißen Stoß zähne inzwischen ein gräuliches Gelb.
    Gloria ignoriert die warnende Stimme in ihrem Kopf, dreht den Verschluss auf und holt zwei große Tabletten aus der überdimensionalen, fleischfarbenen Dose, auf der zu lesen ist: »OxyContin«, »60 MG«, »Für Kinder unzugänglich aufbewahren«.
    Sie legt die Pillen auf seine offene Handfläche und führt das Wasserglas an seine Lippen.
    Draußen im Regen-Inferno hören sie Debbie rufen: »Hiev es hoch, Joe, hiev’s hoch!« Fat Debbie, der schrullige Captain Ahab von Gay Paris.
    »Danke, Gloria.«
    »Wofür? Dass ich dich mit diesem Mist füttere?«
    »Ich weiß nicht, was ich sonst nehmen soll«, sagt er. Seine Stimme zittert, seine Hand ebenso.
    »Ich weiß es auch nicht«, sagt sie und nimmt die kalte Hand. »Aber ich werd dir dabei helfen, das Richtige zu finden.«
    »Kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.«
    »Doch, wirklich. Ich versprech’s dir. Hol dir deinen Kick, solange du high bist. Aber ich hab das Gefühl, dass wir für dieses Zeugs hier noch eine bessere Verwendung finden.«

Venice Beach, California
    VENICE BEACH, CALIFORNIA
    Als sich die Tür endlich öffnet und Ross Klein aus dem Kühlschrank steigt, sieht er aus wie von einem anderen Stern: Jegliche Farbe ist aus seinem Körper gewichen, die Augen sind weit aufgerissen, er schnappt nach Luft wie Han Solo, der in Hollywoods Weltraum-Saga zu guter Letzt doch noch gerettet wird.
    Ein paar Häuserblöcke weiter hört man Bebops melancholische Blockflöte, unaufdringlich und hypnotisch zugleich. Melodien, die dich sanft schaukeln, Melodien, die heilen, Melodien, die dich forttragen, Melodien, um dein Leben zu segnen oder dein Schicksal zu verfluchen – ein nebensächliches Etwas, das dir aber vielleicht wieder auf die Füße hilft, deine Seele erleichtert und dir womöglich sogar einflüstert, die wahre Bedeutung von Liebe gefunden zu haben. Ein Song, der dich verzaubert. Ein Song, der mit seinem Funken einen Wald in Brand stecken kann.
    Als er nackt in seinem großen, leeren Loft steht, kommt der Kritiker langsam zu Atem und lässt seine Augen zum letzten Mal durch den Raum gleiten. Das schwarze Sofa, das leere Bett. Der glänzende Baseballschläger in der Ecke. Seine stumme Plattensamm lung, komplett in die Wand eingelassen. Die deutschen Kopfhörer. Die offene Badezimmertür, der dunkle Spiegel dahinter, das langsam tropfende

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