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Black Jesus

Black Jesus

Titel: Black Jesus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Felice
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Haltung, die wir alle nur zu gut kennen – und bereits kannten, bevor der erste Atemzug in unsere Lungen stach.
    »Ist mit ihm alles in Ordnung?«, fragt Bea.
    »Im Augenblick nicht, aber ich denke, er wird wieder auf die Beine kommen. Ich möchte ihm helfen, wenn ich es irgendwie kann.«
    »Was stimmt denn nicht mit ihm?«
    »Die Armee gibt ihm diese seltsamen Schmerzmittel, aber ich hab das Gefühl, dass sie mehr schaden als nützen.«
    »Armer Junge. Er sieht so aus, als könne er keiner Fliege was zu Leide tun.«
    »Ich weiß, was Sie meinen. Wir können uns wahrscheinlich nicht einmal vorstellen, was er durchgemacht hat.«
    »Die Hölle auf Erden«, sagt Bea und bläst den Rauch zum offenen Fenster hinaus. »Hast du was dagegen, wenn ich eine Kerze für ihn aufstelle, wenn ihr gegangen seid?«
    »Wofür?«
    »Um den Großen Geist um seine Heilung zu bitten. Einige nennen es das Allheilmittel.«
    »Klar, das wäre sehr nett.«
    »Und vielleicht auch gleich eine für dein Bein?«
    »Machen Sie sich um mich keine Sorgen. Ich bin okay.«
    »Nein, du bist nicht okay. Du bist genau wie ich: Du würdest dir für jeden anderen die Beine ausreißen, bevor du zugibst, selbst ein kleines Problem zu haben.«
    »Okay, abgemacht. Dann auch eine für mich. Aber zünden Sie seine zuerst an.«
    Bea lächelt, und beide schauen durchs Fenster zum Garten, zu den Sträuchern, zum Himmel. Der Kondensstreifen, den das Flugzeug hinterlassen hatte, hat sich inzwischen fast völlig aufgelöst – ein Hauch hier, ein Partikel dort.
    »Vielleicht ist unser Zuhause, zu dem wir heimkommen, etwas völlig anderes als das, wovon wir immer geträumt haben«, sagt die alte Frau. Sie hat ihre Zigarette inzwischen ausgedrückt. Ihre weißen Zöpfe haben sich aufgelöst und wehen leicht im Wind, doch die Feder auf ihrem Hinterkopf befindet sich immer noch an ihrem Platz. »Es muss doch mehr sein als nur dein Name, der auf dem Briefkasten steht. Mehr als der Kaufvertrag für dein Haus. Oder die neuen Schlafzimmermöbel aus dem Kaufhaus. Was wäre, wenn Heimat ganz einfach der Ort wäre, an dem wir uns wohlfühlen? Wo wir so sein können, wie wir sein möchten. Und wo alle, die wir lieben, nur einen Anruf mit dem alten Blechbüchsentelefon entfernt sind.«
    Auf dem Weg zurück zum Dairy Queen nimmt Gloria einen kleinen Umweg. An der weißen Kirche biegen sie ab und gehen den Hügel hinunter, an der Gerberei vorbei zur Mill Road, die sich am Bach entlangschlängelt. Sie bewegen sich im Schneckentempo – und auch ganz ohne die Kordel, an der sie den Soldaten hinter sich hergezogen hatte. Er geht mehr oder minder an ihrer Seite, während sie nur leicht aufs Gas tippt. Autos fahren vorbei, Hälse recken sich, einige winken, andere nicht.
    »Wo gehen wir hin, Gloria?«
    »Ich möchte mit dir runter zum Wasser.«
    »Was sollen wir da?«
    »Weiß ich noch nicht.«
    Einen knappen Kilometer später parkt sie ihr Moped auf dem Seitenstreifen, greift seine Hand und geht mit ihm einen vermüllten Weg hinunter, zu einer der unbestrittenen Sehenswürdigkeiten von Gay Paris: einer Hängebrücke, die sie »The Swinging Bridge« nennen. Es ist eine altertümliche Konstruktion aus Drahtkabeln mit hölzernen Planken, die hier in zehn Metern Höhe über den reißenden Bach führt. Sie bekam ihren Namen, weil sie bei frischem Wind ordentlich schaukelt – und obendrein quietscht und knirscht, wenn man sie betritt. Legenden gibt es zuhauf, und alle drehen sie sich um Sex und Tod. Als sie sich kurz vor der Brücke befinden, tritt Lionel auf eine leere Bierdose, und das metallische Geräusch unter seinem Fuß lässt ihn schier ausflippen.
    »Ist alles in Ordnung«, sagt das Mädchen, seine Hand in der ihren. »Nur eine leere Dose, die irgendein Idiot liegen gelassen hat.«
    Als sie halb auf der Brücke sind, hält sie an. »Warte.«
    »Worauf warten? Wir gehen besser schnell über das verrückte Scheißding rüber, bevor noch irgendwas passiert.«
    »Hör mal.«
    »Ich kannte einen Jungen, der mit dem Bein zwischen den Planken eingeklemmt wurde und …«
    »Psst. Bitte. Hör nur.«
    »Hör auf was?«
    »Auf nichts Bestimmtes. Auf die Geräusche. Aufs Leben.«
    Eine halbe Minute später sagt er: »Ich hör dich atmen.«
    »Da hab ich ja Glück gehabt. Was sonst?«
    Der Junge hebt seinen Kopf, und die schwarze Sonnenbrille glänzt in dem Sonnenlicht, das vom Wasser reflektiert wird.
    »Den Bach«, sagt er. »Er ist mächtig in Bewegung.«
    »Kannst du ihn in deinem Kopf

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