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Black Jesus

Black Jesus

Titel: Black Jesus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Felice
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Orient antreffen konnte. Man findet bei ihr nur halt keinen Affen, keine Myrrhe und keinen Abakus, sondern eine ausgestopfte Katze, ein Männerdeo oder einen Taschenrechner, den sie bei »Wal-Mart« geklaut hat. Der Flohmarkt ist ihr Ein und Alles, ihr Lebenswerk. Ob im Sommer oder Winter, Frühjahr oder Herbst: An jedem Tag kann man hier anhalten, aussteigen und zu seichten Radioklängen durch ihre Wunderwelt wandeln – und an jedem Tag wird sie auf einen zukommen und versuchen, einem etwas anzudrehen: ein Paar Moonboots oder einen alten Fernseher, einen Spiegel oder ein russisches Matroschkaset (bei dem allerdings eine Puppe fehlt), eine Seemannstruhe, ein Gemälde mit einem Wolf, einen Sturzhelm oder einen Aschenbecher, von dem sie Stein auf Bein schwört, dass er einmal Roosevelt gehört hätte, ein Gemälde mit einem Indianer zu Pferde, eine Skijacke, ein Messerset, ein fast vollständiges Gesellschaftsspiel, ein Abendkleid, einen Schmortopf, ein Fußkettchen, eine Zuckerschale, ein Bikinioberteil, ein Gemälde, das Jerusalem in der Dämmerung zeigt, eine Lampe, einen Atari, ein Aquarium oder Ghostbusters auf VHS.
    Lionel war nun seit zwei Wochen wieder zu Hause, und falls er jemals gedacht hatte, dass der Umzug ins Dairy Queen den Trödelambitionen seiner Mutter ein Ende bereitet hätte, so war er auf dem Holzweg. Sie ist ein Schlitzohr, diese Debbie, eine machtbewusste Matriarchin in rosafarbenen Jogginghosen und schmutzigen weißen Reeboks. Seit dem Umzug lief sie auf Hochtouren, klapperte das Hinterland ab, hielt vor vielversprechenden Häusern an und fragte den Burschen in der Einfahrt, ob er vielleicht irgendwas in der Garage habe, das er schon immer aussortieren wollte. Vielleicht eine Kamera? Oder ein Schaukelpferd? Mit der Unterstützung von Joe, ihrer neuen Flamme, hatte sie inzwischen noch besser imprägnierte Zeltplanen gegen den Regen aufgespannt, und gemeinsam hatten sie auch ein großes Holzschild mit den Worten bemalt: »Flohmarkt. Spenden willkommen. Entrümpeln Sie Ihre Garage. Der Abfall des Einen ist der Glücksfall des Anderen.« Es hing nun dort, wo früher einmal das Dairy-Queen-Logo gebaumelt hatte.
    Seit er wieder zu Hause ist, hat der Regen nachgelassen. Die Vögel singen, und der Flieder am Straßenrand steht in voller Blüte. Er kann ihn nur nicht sehen. Er ist deprimiert. Er ist stumm und deprimiert.
    Debbie steht an der Leiter und ruft nach oben: »Lionel?«
    Er antwortet nicht.
    Sie versucht’s noch mal: »Black Jesus?«
    »Was ist?«
    »Komm raus, es ist ein sonniger Tag.«
    »Warum?«
    »Weil ich etwas für dich habe.«
    »Was?«
    »Komm runter, und du wirst schon sehen.« Und dann leise zu sich selbst: »Was ist bloß los mit dir, Debbie? Du musst wirklich aufhören, so was zu sagen.«
    Sie hört seine Schritte auf dem Dachboden und klettert die Leiter hinauf, um ihm zu helfen, doch er stößt ihre Hand weg und sagt: »Ich kann das allein. Hör auf, mich wie ein Baby zu behandeln.«
    »Ich will doch nur sichergehen, dass …«
    »Ich bin ein Marine, Mom«, sagt er – und seine Stimme klingt plötzlich ganz anders.
    »Okay, Baby. Du hast ja recht. Tut mir leid«, sagt sie. »Ich bin draußen. Der Laden läuft gut. Hab heut Morgen schon ein Diktiergerät verkauft.«
    Kurz darauf kommt er in einer grauen Jogginghose langsam die Leiter herunter, Sprosse für Sprosse. In der Nacht hat er vom Krieg geträumt, der bis vor Kurzem sein Leben war.
    Er sah ein Kind, das auf der Straße starb. Seine Mutter kam gelaufen, ihr grüner Schal flatterte im heißen Wind. Aus einem Fenster wurde geschossen, er roch Essen und Gewürze, hörte eine Sirene und Männer, die in seiner Sprache schrien und einer Sprache, die er nicht kannte.
    Er kauerte in einem Türeingang. Dann hörte er einen lauten Knall und kam vorsichtig aus seinem Versteck heraus. Als er auf die Straße trat, regnete es Glassplitter, die von den Fenstern auf seinen Helm fielen und seine Hände aufschnitten. Nachdem das Gewehrfeuer verstummt war, wusste er, dass der Heckenschütze tot war. Er schaute zu dem Kind hinüber, um das sich inzwischen eine Menschentraube gebildet hatte. Als er auf sie zuging, stand die Frau mit dem grünen Schal auf und trug den kleinen Körper auf ihrem Arm. Der braune Kopf hing leblos hinunter.
    »Go home«, rief sie ihm auf Englisch zu. Sie sah völlig gefasst aus und wunderschön. »Please, just go home.«
    Nun ist er also zu Hause und sucht seinen Weg durch den Raum, die schwarze Sonnenbrille auf

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