Black Mandel
Auf der Fähre nach Rostock hat es geregnet und geregnet und wollte überhaupt nicht mehr aufhören. Trotzdem hat der Mandel draußen an der Reling gestanden mit seiner Seewolfjacke wie ein Mann aus einem anderen Jahrhundert. An einer Raststätte kurz nach Rostock hat der Mandel seinen einzigen vollständigen Satz der gesamten Rückreise gesagt.
»Ich glaube, wenn man einen ganzen Tag an ein und derselben Raststätte bliebe, könnte man einige sehr merkwürdige Dinge beobachten.«
»Mir reichen schon zehn Minuten«, habe ich geantwortet, und es blieb unser einziges Gespräch.
Ein paar Tage später saßen wir im Büro, und der Mandel hatte mir freiwillig für eine Woche den Platz mit der guten Sicht aufs Nordufer überlassen, was mir unheimlich war. Ich hatte dennoch vor, ihn für mindestens drei Wochen nicht mehr herzugeben. Sobald das Telefon klingelte, bekam ich es mit der Angst zu tun. Auch der Mandel schaute genau auf das Display, ob nicht jemand mit einer norwegischen Vorwahl anrief. Doch es war nur der Sascha, der wissen wollte, welchen Verwendungszweck er auf die überteuerte Rechnung schreiben sollte, die er fürs Hacken der Dark-Reich-Website gerade stellte und die wahrscheinlich an uns hängen blieb. Ein anderes Mal war der Bruder vom Mandel dran, der fragte, ob wir am 7. Mai da wären, da käme er in die Stadt, und wir könnten ja alle zusammen ins Sägewerk gehen und einen draufmachen. Ein Dozent von der Sicherheitsakademie wollte vom Mandel wissen, ob er als bei ihnen erfolgreich ausgebildeter Privatdetektiv nicht einmal eine Stunde in dem Einführungskurs »Ermittler, IHK -Zertifikat« halten wolle. Quasi aus der Praxis berichten. Der Mandel sagte ab und fragte noch nicht einmal, ob ich das nicht hätte machen wollen. Irgendwann telefonierte ich mit Winter. In einem ruhigen Moment, als der Mandel in der Mittagspause im Deichgraf auf einen Strammen Max saß und ich alleine im Büro blieb. Der Winter hatte diesen Staatsanwalt an der Hand, der ganz gut für detektivische Arbeit bezahlte, wie bei Ein Fall für zwei , ich hatte es ja eingangs schon erwähnt. Ich notierte mir die Nummer, weil ich nicht Arbeitnehmer beim Blaumachen bespitzeln wollte.
Seitdem wir wieder zu Hause waren, lasen weder ich noch der Mandel norwegische Websites, und dennoch stieß ich auf einer deutschen Nachrichtenseite eines Morgens auf die Meldung, dass ein norwegischer Terrorist aus dem nationalheidnischen Umfeld – ich habe bis heute nicht genau verstanden, was das sein soll – vorgehabt hatte, einen Bombenanschlag auf das Fantoft-Hostel zu verüben. Eine Durchsuchung des Hauses des in einer anderen Sache unter Mordverdacht stehenden Mannes hatte einen geheimen Keller offenbart, in dem größere Mengen Kunstdünger, weitere Zutaten für eine Bombe und die Pläne des Studentenhostels in Fantoft gefunden wurden. Der betreffende Mann war bereits wegen einer Brandstiftung mit Todesfall längere Zeit inhaftiert gewesen. Er war zudem ein bekannter Heavy-Metal-Musiker und vermeintlicher Satanist namens Aksel Raske, bekannt auch unter dem Pseudonym King Therion.
»Der Typ wollte eine Bombe in dem Studentenheim zünden?«, sagte ich zum Mandel. »Das ist ja bestialisch. Und dem haben wir die Hand geschüttelt.«
Der Mandel sah mich mit leeren Augen an und sagte nichts.
»Wenn wir nicht so tief drinstecken würden, hätten wir jetzt eine Riesenreportage verkaufen können. Sollen wir eigentlich noch den Artikel über Utgang schreiben?«, fragte ich. Der Mandel sah mich an, als hätte ich ihm vorgeschlagen, seinen rechten Arm amputieren zu lassen.
Ungefähr zwei Wochen, nachdem wir aus Norwegen zurückgekommen waren, brachte der Postbote einen Brief, der an mich adressiert war. Der Absender war Vilde Hallberg.
Lieber Sigi,
es tut mir leid, euch in diese Sache mit hineingezogen zu haben. Ich hoffe, es geht euch gut, und ihr werdet nicht von der Polizei belästigt. Ich habe euch mit keinem Wort erwähnt, und Håvard hat es mir auch versprochen. Ich bin noch immer in der Wohnung meiner Mutter und treffe mich hin und wieder mit Gunarr – wir verstehen uns wieder besser. Mein Freund bei der Bergener Staatsanwaltschaft hat mir ein Überwachungsvideo von der Mariakirken in der Nacht des Dark-Reich-Konzerts gezeigt. Bisher konnte die Identität des anderen Mannes nicht ermittelt werden. Es wurden übrigens jede Menge Aufputschmittel und Substanzen in Håvards Büro an der Universität gefunden. Darunter auch Flunitrazepam, falls dir das
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