Wahlkampf: Ein Mira-Valensky-Krimi
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Der Tag hatte so schön begonnen. Gismo gähnte mich vom Fußende des Bettes her an. Es war noch warm in Wien. Die Sonnenstrahlen, die durch das vierteilige hohe Schlafzimmerfenster fielen, zeichneten ein Muster auf die weiße Wand.
Ich kletterte aus dem Bett und lockte die Schildpattkatze mit fünf schwarzen Oliven. Sie streckte sich majestätisch und raste dann ganz unmajestätisch zu mir in die Küche. Ihr beige-orange-schwarzes Fell kam mir heute wieder einmal besonders seidig vor. Sie tanzte um mich herum, unfähig, noch länger über die fünf einsamen Tage beleidigt zu sein. Erst nachdem sie die Oliven verschlungen hatte, zog sie sich in eine Ecke des Vorzimmers zurück und starrte mit ihren gelben Augen abwechselnd mich und meine ungeöffnete Reisetasche an. Von ihren Augen bis zur Nase leuchtete ein flammend oranger Streifen, ein zweiter über ihrer rechten Braue. Wie bei einem urzeitlichen Krieger, der nicht ganz fertig bemalt ist. Um in den Kampf zu ziehen? Um Freudentänze aufzuführen? Das konnte man bei Gismo nie so recht wissen. Ich hatte sie auf der Straße aufgelesen. Solche Katzen findet man, die sucht man sich nicht aus.
Die Waage zeigte heute Morgen 81 Kilo. Kein Grund, sich die Stimmung verderben zu lassen. Vor meiner Abfahrt waren es 80 Kilo gewesen. Bei einer Größe von einem Meter zweiundsiebzig konnte man das kaum als Übergewicht bezeichnen. Bloß ein Kilo mehr nach fünf Urlaubstagen mit köstlichem Essen, vielen faulen Stunden und reichlich Alkohol – das war beinahe wie ein Geschenk. Ich duschte, schlüpfte in bequeme Jeans, und entgegen meinen sonstigen Gewohnheiten machte ich mir bloß rasch einen Cappuccino.
Ich seufzte und streckte mich. Wunderbares Veneto. Hätte ich die Chance gehabt … Es gab sie aber nicht. Dabei mochte ich meine Wohnung in dem Gründerzeithaus mit den hohen weitläufigen Räumen, den knarrenden Parkettböden und den bereits etwas abgenutzten Flügeltüren, die bei mir immer offenstanden. Möglichst viel Platz und Raum. Ich hasse es, mich eingesperrt zu fühlen.
Ich lief die drei Stockwerke nach unten und hatte gerade die erste Weinschachtel aus dem Kofferraum meines Autos gehievt, als mir in der Haustür Vesna begegnete. Vesna Krajner war meine Putzfrau. Die Bezeichnung Putzfrau war mir lieber als der gängige Wiener Ausdruck »Bedienerin«. Vesna bediente nicht, sie putzte den Dreck weg, den ich nicht wegputzen wollte. Vesna nickte, als sie mich sah. »Mira Valensky, wie geht es dir?«, fragte sie. Ich hatte mich schon lange damit abgefunden, dass Vesna zwar als Kompromiss mit den herkömmlichen Konventionen auf mein Du eingegangen war, mich aber immer mit Vor- und Nachnamen ansprach. »Ich helfe«, sagte Vesna und wollte mir den Karton abnehmen.
»Es sind noch ein paar mehr da«, ächzte ich und stellte den Karton auf die Stufen. Gemeinsam gingen wir zum Auto zurück. Vesnas Blick verriet, dass sie das für untertrieben hielt. Na ja, es war eben eine gute Gelegenheit gewesen. Sieben Schachteln mit Wein, darüber einige große und kleine Plastiksäcke voller köstlicher Dinge. Beachtlich, was alles in einen kleinen Fiat passte. Vesna hob einen Weinkarton hoch. Sie war fast einen Kopf kleiner als ich, stämmig, aber ohne ein Gramm Fett. Vom ewigen Putzen hatte sie zähe Muskeln bekommen. Sie keuchte nicht einmal, als sie oben anlangte. Wahrscheinlich sollte ich doch wieder Sport betreiben. Früher einmal war ich recht sportlich gewesen. Im Abstellraum standen eine Reihe staubbedeckter Pokale. Speerwerfen, Laufen, Schwimmen – ich war ein Allroundtalent gewesen –, und das, obwohl ich nie die ideale Figur für eine Sportlerin gehabt hatte. Aber Laufen hatte mir allemal besser gefallen als Mathematik. Das alles lag allerdings 20 Jahre zurück.
Eine halbe Stunde später türmten sich im Vorzimmer alle meine Schätze. Gismo umschlich sie misstrauisch. Sie schlug die Krallen in einen Sack und starrte auf die Kaffeebohnen, die herausquollen.
Ich fauchte. Gismo sah mich mit großen Augen an. Die Katze war nicht zu erziehen, sie war bestenfalls zu bestechen. Ich nahm die Säcke und stellte sie auf den Küchentisch. Vesna hatte inzwischen damit begonnen, die Wohnung aufzuräumen. Ich widmete mich meinem Weinkühlschrank. Zur Wohnung gehörte zwar ein kleiner Keller, aber dort war es zu warm, um gute Weine zu lagern. Also hatte ich mir diesen sündteuren Weinschrank geleistet. Keinen einfachen, einen doppeltürigen. Er hatte so viel gekostet wie ein
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