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Black Mandel

Black Mandel

Titel: Black Mandel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berni Mayer
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fragte ich ihn.
    Der Mandel ignorierte die Frage.
    »Ich nämlich nicht«, sagte ich. »Seit wir auf dem Wasser sind.«
    Ich nahm einen Schluck von dem Weinbrand und schaute auf den Quittungszettel, den uns der Kellner gleich mit dazugelegt hatte. Ich steckte ihn ein.
    »Wahnsinn, wie teuer hier so ein Weinbrand ist«, sagte ich.
    Der Mandel schaute nicht von seinem Telefon auf, als er fragte: »Wie teuer?«
    »Acht Euro«, sagte ich.
    »Das geht ja noch«, sagte der Mandel. »Warte mal, bis wir in Norwegen sind.«
    »Zehn Euro?«, fragte ich.
    »Nix Euro«, sagte der Mandel. »Kronen. Norwegische Kronen.«
    »Scheiße. Warum haben die keinen Euro? Ich hab gar kein Geld gewechselt«, sagte ich.
    »Sigi, in welchem Jahrhundert lebst du? Geh halt zum Automaten«, sagte der Mandel.
    »Aber die Gebühren, wenn man im Ausland Geld abhebt«, sagte ich.
    »Was musst du auch einen Weinbrand bestellen?«, sagte der Mandel eine Minute später.
    Da mir der Mandel auf Dauer zu wenig gesprächig war, wanderte ich ein bisschen auf dem Deck umher. Es war längst dunkel, und die pechschwarze Nordsee brachte die gemeinste und windigste Kälte hervor. Schon als Kind war es meine größte Angst, in der Nacht auf einem Schiff über Bord zu gehen und so von Wind und Wellen überzogen zu werden, dass mich sofort niemand mehr sehen konnte und mein Verschwinden zunächst völlig unbemerkt blieb. An der Reling vor dem Bordcafé stand der Mandel und rauchte. Der Wind richtete seine Frisur zugrunde, sein akkurater Seitenscheitel war für heute Geschichte, konnte man meinen. Aber der Mandel würde nach der Zigarette auf die Schiffstoilette gehen und mit dem kleinen schwarzen Plastikkamm, den er neuerdings in der Innentasche trug, den Scheitel wieder dahin ziehen, wo er hingehörte. Wie er so an der Reling stand und rauchte, sah er aus wie ein Mann aus einem vorherigen Jahrhundert. Er trug eine bullige braune Fliegerjacke mit einem weißen Fellkragen und braune Lederhandschuhe. Es sah aus, als hätte er sich als der »Seewolf« verkleidet. Mein Telefon summte. Ich schaute auf das Display, und der Balken für den Empfang war auf null. Trotzdem zeigte es mir eine Kurznachricht von Maria an. Du hättest nicht einfach so wegfahren sollen. Die spinnt wohl, dachte ich. Der Platz an der Reling war leer, der Mandel war hineingegangen. Es blieb ohnehin nicht mehr viel Zeit bis zur Ankunft in Kristiansand.
    Wären wir bei Tageslicht in Norwegen angekommen, hätte ich vielleicht einen ganz anderen Eindruck von dem Land gewonnen, aber wir fuhren durch eine Dunkelheit, die so undurchdringlich war, als hätte jemand ein Tuch über uns geworfen. Der Mandel hatte mich genötigt, nach der Fähre das Steuer zu übernehmen, weil er sich hinlegen wollte, aber ich fühlte mich nicht besonders gut nach dem Wellengang. An der erstbesten Tankstelle fuhren wir raus, und ich legte mich auf den Rücksitz, während der Mandel weiterfuhr. Wir waren jetzt elf Stunden am Stück unterwegs, und der Mandel war besessen von der Idee, ohne Übernachtung oder längere Pause in Bergen anzukommen. Als ich wieder aufwachte, war es kurz nach Mitternacht, und wir waren immer noch auf der Straße. Die Autos, die uns entgegenkamen, schienen aus dem Nichts aufzutauchen. Der Mandel saß im völligen Dunkeln, nur das fahle Licht der Armaturen erzeugte einen hellen Fleck auf seinem Gesicht. Es lief keine Musik.
    »Wo sind wir?«, fragte ich, während ich wieder nach vorn kletterte.
    »Bei Stavanger«, sagte der Mandel, aber das sagte mir nichts.
    »Warum fahren wir keine Autobahn mehr?«
    »Es gibt hier keine Autobahn«, sagte der Mandel.
    »Warum wirst du langsamer?«, fragte ich.
    »Da vorn kommt eine Mautstelle«, sagte der Mandel.
    »Eine Mautstelle? Für diese schäbige Straße?«
    »Für den Tunnel«, sagte der Mandel und deutete auf den Berg, der auf uns zukam.
    »Kennst du dich gut aus mit Black Metal?«, fragte ich, weil ich für meinen Artikel die Expertise vom Mandel brauchen würde.
    »Ja«, sagte der Mandel.
    »Von Dark Reich hab ich mir das Konzert im Netz angeschaut und mir die ersten beiden Alben gekauft. Was muss ich noch kennen?«
    »Dark Reich sind nur die Plakativen. Die wahre Wut kommt von viel weiter unten«, erklärte der Mandel.
    »Was meinst du mit weiter unten ?«, fragte ich.
    »Die kleineren Bands. Die, die’s wirklich ernst gemeint haben. Die die Kirchen angezündet und Leute umgebracht haben.«
    Der Mandel kam mir jetzt vor wie ein alter Museumswärter, der den

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