Blaine McCracken 6: Der Tag Delphi
Örtlichkeiten einzuprägen, daß er die Ausführungen des Colonels kaum beachtete. Bevor er es richtig mitbekam, hielt der Bus schon vor einem Drahtzaun, der den Exerzierplatz von Whiteland umgab. Die Ausbildungsmethoden, die Blaine beobachten konnte, waren weder besonders einfallsreich noch beeindruckend. Männer wurden in kleinen Gruppen im Nahkampf unterwiesen. Eine andere Gruppe marschierte im Gleichschritt. Eine dritte arbeitete mit Gewehren, denen Bajonette aufgesetzt waren.
Die Puppen, die sie aufspießten, waren schwarz bemalt.
McCracken lauschte geistesabwesend den Prahlereien des Colonels über die strengen Sicherheitsvorkehrungen, die hier in Whiteland getroffen worden waren. Er betonte die Tatsache, daß jeder Mann und jede Frau, die hier aufgenommen wurde, bereit sein mußte, seine oder ihre Prinzipien unter allen Umständen zu verteidigen. Sie befänden sich mitten in einem Krieg, erklärte der Colonel, und sie stellten das letzte Bollwerk und die letzte Hoffnung der Nation dar – und der weißen Rasse.
Blaine hörte das Donnern von Gewehrschüssen und das Klicken, mit dem die Waffen neu geladen wurden. Die Ziele verstreuten weiße Baumwolle und Stroh in die Luft, doch die Treffer schienen kaum im Verhältnis zu der Zahl der abgegebenen Schüsse zu stehen. Er stellte sich vor, daß sich überall auf der Welt ähnliche Szenen abspielten. Der Haß wurde sanktioniert und unter einem Schleier der Legitimität mit Waffen ausgerüstet. Wenn nichts dagegen unternommen würde, würde der Plan der Delphi überall Gewalt und Intoleranz erzeugen und es den Repräsentanten der Organisation dadurch ermöglichen, die Herrschaft an sich zu reißen.
Aber man konnte den Tag Delphi noch aufhalten. Hier.
Und heute.
Einunddreißigstes Kapitel
Die Nacht senkte sich über Whiteland. McCrackens langer Tag der Indoktrination in seiner neuen Heimat war beendet, und die Belohnung stellte eine harte Pritsche in einem Schlafsaal mit sechsunddreißig Betten dar. Er lag unter einem offenen Fenster, durch das das harte Licht von Scheinwerfern fiel. Blaine hatte diese Sicherheitsvorkehrungen schon längst zuvor bemerkt, und auch einige andere, die er überwinden mußte.
Obwohl die Mitglieder der AWB bei ihren Paraden zumeist auf Pferderücken zu sehen waren, benutzten sie Jeeps, um des Nachts Streife zu fahren. Jedes Fahrzeug war mit zwei Mann besetzt. Außerdem gab es auf dem Gelände eine Reihe von Überwachungskameras; den Bewohnern hatte man zweifellos gesagt, sie wären zu deren eigenem Schutz angebracht worden.
Es würde kein Problem sein, sich aus dem Schlafsaal zu schleichen. Danach jedoch mußte er bis zur Kommandozentrale fast zwei Kilometer zurücklegen. Die Überwachungsmonitore waren auf die Türen gerichtet, also kletterte Blaine leise aus einem Fenster, wobei er darauf achtete, seine ›Kameraden‹ nicht zu wecken. Der feine Nebel, der vor den Lampen hing, würde das seine dazu beitragen, ihn vor den Insassen der vorbeifahrenden Jeeps zu verbergen. Kurze, dunkle Strecken legte er mit schnellen Sprints zurück, während er gut beleuchtete Abschnitte kriechend überwand. Als einmal ein Jeep bedrohlich nahe kam, konnte er sich hinter einem gerade gepflanzten Busch verstecken.
Er erreichte den Rand des Kommandozentrums, ohne daß es zu einem Zwischenfall gekommen war, und streckte sich in der Dunkelheit auf dem Gras aus. Die Kommandozentrale wurde lediglich hinten von einem Zaun gesichert, doch die auf dem Gebäude angebrachten Scheinwerfer verbreiteten eine solche Helligkeit, daß er gezwungen war, einen großen Umweg einzulegen. Blaine blieb in den Schatten und benutzte den Schutz von Büschen, um eine Entdeckung durch die zehn oder zwölf Wachen zu vermeiden, die darauf trainiert waren, den Angriff einer Eliteeinheit abzuwehren, aber nicht mit einer Erkundungsmission durch einen einzelnen Mann rechneten.
McCracken erreichte unbeschadet die Rückseite der Kommandozentrale. Er schlich an mehreren Pferden vorbei, die an einem Pfosten an der rechten Ecke des Gebäudes angebunden waren, und streichelte ein unruhig gewordenes Tier, um es zu beruhigen, als er das lange Seil bemerkte, das an seinem Sattel befestigt war. Er löste das Tau und nahm es mit.
Vier Meter trennten ihn von dem Zaun, der die hintere Seite des Gebäudes sicherte. Dort waren keine Fenster in die Wände eingelassen, und nur eine einzige Tür, die aber verschlossen war. Aus genau diesem Grund hatte McCracken das Seil mitgenommen. Nach dem
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