Blaine McCracken 6: Der Tag Delphi
diesem Morgen in seinem Zimmer im Carlton ausführlich das System der Luftschächte im Kommandozentrum von Whiteland studiert. Da sowohl die vier unter- wie auch die drei überirdischen Stockwerke mit Frischluft versorgt werden mußten, konnte er davon ausgehen, daß das System über große Kondensatoren, Ventilatoren und Rohre verfügte, durch die ausreichende Mengen bewegt werden konnten. Den Plänen zufolge befanden die riesigen Kondensatoren sich auf dem Dach, und entsprechend mußte man dort auch eine Einstiegsmöglichkeit in das labyrinthähnliche Netzwerk der Rohre finden können. Die Pläne hatten Blaine verraten, wo sich Travis Dreyers Büro befand. Der Inhalt von dessen Aktenschränken hatte Blaine hierher gelockt. Nun wollte er sich Zugang zu diesem Büro im obersten Stock verschaffen, indem er sich durch die Luftschächte hinabließ.
Das Problem dabei war, daß man in der Kommandozentrale bald ein Versagen der Klimaanlage bemerken würde. Doch die Zeit arbeitete für ihn; es würde eine Weile dauern, bis man Techniker herbeirufen konnte, die dann seine Manipulationen auf dem Dach bemerken würden.
McCracken huschte zu dem großen Kondensator. Da er keinen Hebel fand, mit dem er das Gerät ausschalten konnte, zerrte er schnell alle freiliegenden Drähte heraus, bis das Ding erzitterte und seine Funktion einstellte. Dann folgte er Rohren zu einem Gebilde, das er zuerst für eine große Dachluke gehalten hatte, stellte dort aber fest, daß es sich um die Ansaugöffnung für die Frischluft handelte. Auf den Plänen war die Größe dieses Schachts viel zu klein wiedergegeben worden. Das rechteckige Abdeckblech war einen Meter mal einen Meter und zwanzig groß und leichter zu handhaben, als er gehofft hatte. Innerhalb von dreißig Sekunden hatte er es gelöst. Er atmete auf, als er sah, daß der darunterliegende Schacht knieförmig gebogen war und er sich nicht senkrecht hinablassen mußte.
Er glitt mit den Füßen zuerst in das Rohr aus galvanisiertem Stahl und machte sich unverzüglich auf den Weg zum Büro von Travis Dreyer.
»Meine Herren«, eröffnete Samuel Jackson Dodd die Konferenz, nachdem die Überprüfung der Verbindung zufriedenstellend verlaufen war, »dieses Gespräch wurde einberufen, um Sie zu informieren, daß die Umstände uns zu einer ziemlich drastischen Änderung unserer Pläne zwingen. Der Zeitplan wird vorgezogen. Wir schlagen nicht am nächsten Dienstag zu, sondern in achtundvierzig Stunden. Am Samstag um neunzehn Uhr, nach Washingtoner Zeit.«
»Was?« schienen einige Stimmen gleichzeitig zu brüllen.
»Das ist doch absurd!« protestierte DEUTSCHLAND.
»Unsere Leute befinden sich bereits vor Ort«, wandte JAPAN ein. »Es ist unmöglich, sie so kurzfristig zurückzurufen.«
»Und wir«, erklärte JOHANNESBURG, »können erst eingreifen, wenn wir unsere Sprengköpfe erhalten haben.«
»Beruhigen Sie sich, meine Herren. Sie werden erst aktiv werden müssen, sobald Sie unsere Lieferungen unbeschadet erhalten haben. Wir werden den Zeitplan lediglich in den Vereinigten Staaten vorziehen.«
FRANKREICH. »Aber wir haben uns nicht ohne Grund auf einen gleichzeitigen Einsatz aller Parteien geeinigt. Ohne ein gleichzeitiges Vorgehen ist der Erfolg unserer Aktionen stark gefährdet.«
»Meine Herren«, sagte der Repräsentant aus Washington ruhig, »unser Plan ist bereits gefährdet. Unsere einzige Chance, unsere Ziele noch zu erreichen, besteht darin, hier in den Vereinigten Staaten früher als geplant zuzuschlagen. Dieses Vorgehen findet meine Zustimmung.«
»Sie werden nur eine Woche, höchstens zehn Tage hinter uns herhinken«, fuhr Dodd augenblicklich fort. »Und wenn Ihr Tag kommt, werden die Ergebnisse Ihre ursprünglichen Erwartungen vielleicht sogar noch übertreffen, da sich in den Vereinigten Staaten dann ganz neue Möglichkeiten ergeben werden.«
Auf dem Beobachtungsdeck von Olympus herrschte Stille. Keine einzige Leuchtanzeige blinkte auf.
»Wann kann ich meine Sprengköpfe also erwarten?« fragte JOHANNESBURG schließlich.
»Sie bleiben in ihrem sicheren Versteck und werden an Sie geliefert, sobald wir die Lage in den Vereinigten Staaten stabilisiert haben.«
»Und wem oder was verdanken wir die Änderung der Pläne?« fragte DEUTSCHLAND.
»Bei unserem letzten Gespräch habe ich Sie informiert, daß Blaine McCracken uns auf der Spur ist. Er hat die Regierung der Vereinigten Staaten mittlerweile über seine Erkenntnisse informiert. Der Präsident weiß, daß er mit dem
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