Blaine McCracken 6: Der Tag Delphi
Ein alter, bärtiger Mann war im Fahrersitz zusammengesackt. Eine Spur geronnenen Blutes zog sich von der Stirn die rechte Seite seines bleichen Gesichts hinab.
»Er lebt noch«, stellte Wareagle fest, nachdem er dem Mann am Hals den Puls gefühlt hatte.
»Ich hole den Kaffee und den Erste-Hilfe-Koffer«, sagte Belamo und machte sich auf den Rückweg zur Straße.
Der alte Mann rührte sich. Der kalte Wind schien ihn wiederzubeleben. Er drehte sich ein Stück, und Johnny entdeckte einen alten Peacemaker-Colt in seinem Hüftgurt. Am Aufschlag seiner schweren Jacke, die seine magere Gestalt einhüllte, war ein angelaufenes silbernes Abzeichen befestigt. Der alte Mann öffnete langsam die Augen und richtete seinen Blick auf Wareagle.
»Falls ich tot bin, sag mir nur, wo ich gelandet bin.«
»Immer noch auf der Erde«, sagte Johnny zu ihm. »Allerdings an einem ziemlich ungemütlichen Plätzchen.«
»Das ist die ehrliche Wahrheit Gottes.«
Der alte Mann musterte ihn noch einmal. »Hast du dich im Sturm auf dem Rückweg ins Reservat verlaufen, Rothaut?«
»Nicht direkt.«
»Was führt dich dann mitten in diesen Sturm, der jeden umzubringen versucht, den er zu fassen bekommt?«
»Ich habe zumindest einen Menschen gefunden, bei dem er das noch nicht geschafft hat.«
»Ein guter Grund.« Der alte Mann berührte die Beule an seiner Stirn, von der die Blutspur ihren Ausgang nahm.
»Schätze, ich kann diese Dinger nicht mehr so gut fahren wie früher. Ich konnte überhaupt nichts mehr sehen. Eben war die Straße noch da, und im nächsten Augenblick …«
Wareagles Blick wanderte zum überfüllten Stauraum hinter den zwei Sitzen in der Fahrerkabine. Auf verschiedenen Vorräten lag ein Gewehr.
»Eine Gruppe Pfadfinder steckt in einer alten Silbermine fünfundzwanzig Kilometer weiter fest«, erklärte der alte Mann, als er Johnnys Blick bemerkte. »Mit dem Zeug da hinten sollen sie wieder auf die Beine kommen, wenn ich noch rechtzeitig eintreffe.«
»Und die Flinte?«
Der alte Mann sah sich noch einmal danach um, bevor er antwortete. »Sie sind nicht allein.«
»In diesem Wetter bekommen wir die Laster nicht von der Stelle«, sagte der Mann, der rechts neben Traggeo stand. Sein Name war Boggs, und auch er war ein Überlebender der Salvage Company, einer der vier, die Traggeo persönlich rekrutiert hatte.
»Wir haben keine Wahl«, entgegnete der große Mann.
Die betäubende Kälte hatte wenig dazu beigetragen, den Schmerz in seinem rechten Oberarm zu lindern, wo Johnny Wareagles Messer ihn vor fünf Tagen verletzt hatte. Traggeo konnte den Schmerz nur so lange verdrängen, bis eine schnelle Bewegung oder eine leichte Berührung des empfindlichen Fleischs ihn zurückbrachte. Jeder Schmerzanfall erfüllte ihn von neuem mit Haß. Er hatte damals die Gelegenheit verpaßt, den legendären Indianer in Sandburg Eins zu töten, und konnte nur darauf hoffen, daß das Schicksal ihm eine weitere Gelegenheit verschaffte, sich den Geistern würdig zu erweisen.
»Der Funkruf wurde beantwortet«, sagte Traggeo. »Jemand hat ihn gehört und wird sich auf den Weg machen.«
»Der Sturm wird auch ihn aufhalten«, erwiderte Boggs.
»Nicht, wenn Kinder in Gefahr sind. Man wird einen Weg finden. Wir müssen die Laster hier rausbringen.«
Boggs zog sich wieder in den Unterschlupf hinter dem Eingang zur Mine zurück. Die fünf ehemaligen Mitglieder von Tyson Gashs berüchtigter Salvage Company hatten sich in ihrem sicheren und warmen Lager aufgehalten, das sie in einem anderen Teil der Mine aufgeschlagen hatten, als der Tumult begann. Traggeo hatte sich erst dann zum Eingreifen entschlossen, als ein paar der Kinder die Laster entdeckt hatten und der einzige Erwachsene unter ihnen über Kurzwelle zu funken begonnen hatte.
»Wenn wir die Laster rausbringen«, sagte Boggs, »wissen die Kinder trotzdem noch, was sie geladen haben.«
»Dann müssen wir dafür sorgen«, sagte Traggeo zu ihm, »daß die Rettungsmannschaft zu spät eintrifft, um ihnen noch helfen zu können.«
Erst nachdem Sheriff Duncan Farlowe seinen Bericht beendet hatte, versuchten sie, die Schneekatze wieder in Bewegung zu setzen.
»Sieht so auf, als hätten wir gefunden, wonach wir suchen«, sagte Sal Belamo schließlich.
»Suchen?« fragte Farlowe, bevor Wareagle antworten konnte. »Was, zum Teufel, habt ihr vor? Moment mal, es hat bestimmt mit Kristen zu tun. Kristen hat euch auf die Spur gebracht!«
»Ja«, bestätigte Johnny ohne weitere Erklärung.
»Wie
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