Blaine McCracken 6: Der Tag Delphi
niemand mitbekommt, daß Sie in Washington sind«, gab Daniels zurück, »und ich möchte vor allem nicht, daß jemand davon erfährt, daß Sie sich mit mir treffen.«
»Ich weiß noch gar nicht, ob ich einverstanden bin.«
Daniels hielt lange genug inne, um Blaine annehmen zu lassen, daß er aufgegeben hatte. Dann meldete sich seine Stimme wieder, ganz ruhig und überlegt. »Der Angriff in der letzten Nacht war nur der Anfang. Sie wissen das.«
Blaine versuchte zu verbergen, wie sehr sein Interesse geweckt war. »Und Sie wissen, wer dahinter steckt?«
»Ich glaube ja.« Er hielt inne. »Und ich weiß, daß sie aufgehalten werden müssen.«
»Fahren Sie fort, Daniels.«
»Tut mir leid, McCracken. Persönlich. In Washington. Captain Martinez wird Sie zum Flughafen bringen lassen. Melden Sie sich im Four Seasons an und warten Sie auf meinen Anruf.«
McCracken vernahm nur noch ein Klicken im Hörer. Er legte ebenfalls auf.
»In Ihrer Akte stand nicht, daß Sie für die CIA arbeiten«, sagte Martinez, und in seiner Stimme klang plötzlich Zurückhaltung und Respekt mit.
»Weil es nicht der Fall ist. Es ist nur so, daß wir manchmal auf der gleichen Spur sind.«
Martinez zeigte Blaine das Blatt mit der Nachricht, die er erhalten hatte. »Nun, die Spur nach hier unten ist inzwischen eiskalt. Die Küstenwache berichtet soeben, daß sie die Reste einer Yacht gefunden haben, die Manuel Alvarez gehörte. Sie ist mitten auf dem Meer explodiert.« Er schluckte hart. »Ich werde Ihnen Abdrücke dieser Fingerabdrücke besorgen.«
Daniels hatte den Rock Creek Park für ihr Treffen ausgewählt, und McCracken kam genau um zehn Uhr abends, wie sie vereinbart hatten.
Sie wollten sich bei den Picknickplätzen zwischen dichtem Gebüsch treffen, die sich nicht weit vom Carter-Barron-Amphitheater nahe dem Ufer des Flüßchens befanden. McCracken näherte sich aus südlicher Richtung und ging auf einer Brücke über den schmalen Fluß, während Enten durch das ruhige Gewässer planschten. Die Stelle, an der sie sich treffen wollten, lag etwa fünfzehn Meter zu seiner Linken. Eine kleine gelbe Kühlbox sollte auf einer der Sitzbänke stehen. Ihre Abwesenheit hingegen wäre ein Signal dafür, daß das Treffen nicht stattfand.
Die Kühlbox war da. Daniels jedoch nicht. Daniels war nicht der einzige gewesen, mit dem Blaine gesprochen hatte, bevor er Miami verlassen hatte. Er hatte vom Polizeihauptquartier in Miami aus Sal Belamo angerufen.
»Sals Süßwarenladen«, sagte eine Stimme ganz ernsthaft. »Sie haben die Kirsche, ich habe die Sahne.«
»Deine Sahne ist schon ein bißchen abgestanden, Sal.«
»McCrackensack! Ich hatte mich schon gefragt, ob all meine Freunde meine Privatnummer vergessen haben.«
»Verbringst du deine Tage jetzt zu Hause?«
»He, diese Talkshows am Morgen und die Seifenopern am Nachmittag sind bei weitem nicht so beschissen wie das wirkliche Leben. Wenn du mich fragst, Typen wie du und ich können von diesem Scheiß eine ganze Menge lernen.«
Sal Belamo hatte McCracken das Leben gerettet, als sie sich vor acht Jahren zum ersten Mal begegnet waren, und sie hatten seither immer wieder einmal zusammengearbeitet. Belamo war ein Ex-Boxer, der vor allem dadurch berühmt geworden war, daß er zweimal gegen Carlos Monzon verloren hatte. Und er war McCrackens wichtigste Kontaktperson in der Geheimdienst-Szene. Doch seine Mithilfe bei einer Unternehmung McCrackens hatten ihm unbefristete Beurlaubung und ständige Achtung eingetragen. Belamo hatte jedoch noch immer eine Menge Freunde im Apparat, und er war immer bereit, ihm zu helfen.
»Ich müßte dich um einen Gefallen bitten, Sal.«
»Was ist es? Laß mir nur genug Zeit, um den Videorekorder abzuschalten mit der gestrigen Folge von ›Die Jungen und die Geilen‹ … Also, schieß los.«
»Ich faxe dir gleich sechs Paare von Fingerabdrücken, mit denen die lokale Polizei hier in Miami nichts anfangen konnte.«
»Du tankst ein bißchen Sonne, MacSack?«
»Ich habe noch kein bißchen Sonne gesehen, Sal. Sieh mal zu, was du herausfinden kannst.«
»He, wenn du Unterstützung brauchst, zähl auf mich. ›Die Teuren und die Titten‹ könnten warten.«
»Im Augenblick noch nicht, Sal, aber halte dich bereit.«
»Ich warte auf deinen Anruf, Boß.«
Und jetzt, zehn Stunden später, fand McCracken sich zwischen Büschen und Bäumen wieder, während er auf Tom Daniels' Erscheinen wartete. Sie hatten in der Vergangenheit schon mehrmals miteinander zu tun
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