Warum manche Menschen nie krank werden
Einleitung
L uigi Cornaro kam um 1460 als Sprössling einer reichen venezianischen Adelsfamilie zur Welt. Ganz wie es sich in der Epoche der Renaissance für einen italienischen Adeligen gehörte, führte auch Cornaro ein ausschweifendes Leben und schwelgte in Luxus und Überfluss. Er trug Gewänder aus importierter Seide, saß bei Turnieren und Paraden auf einem kostspieligen Logenplatz und aß, wann immer ihm der Sinn danach stand und wonach es ihn gerade gelüstete.
Das Leben eines Adligen drehte sich zur damaligen Zeit fast ausschließlich um Vergnügungen. Man vertrieb sich die Zeit mit sportlichen Wettkämpfen, intellektuellen Diskussionen und natürlich mit üppigen Speisen. Für einen Aristokraten war es durchaus üblich, den Tag mit einem opulenten Frühstück zu beginnen, sich danach ein wenig dem Geschäftlichen zu widmen und anschließend ein zweites Frühstück einzunehmen. Danach vergnügte er sich beispielsweise bei einem Pferderennen oder war mit dem Dogen (damals das Oberhaupt der Republik Venedig) verabredet, um über politische Angelegenheiten zu diskutieren. Spätestens dann war es Zeit für eine weitere Mahlzeit, nach der er sich
zu einem Verdauungsschlaf niederlegte, um erfrischt und ausgeruht vielleicht zu einer abendlichen Tanzveranstaltung zu gehen, bei der selbstverständlich reichlich Speis und Trank aufgetischt wurden.
Wohlhabende Menschen wie Cornaro nahmen üblicherweise vier bis fünf überaus üppige Mahlzeiten pro Tag zu sich. Opulente Festgelage waren immer auch eine ausgezeichnete Gelegenheit, die Gäste zu beeindrucken, und so wurden besonders gerne Speisen kredenzt, deren Zutaten kostspielig waren (wie Zucker) oder schwer erhältlich (wie Spargel, der außerhalb der Saison aus dem Ausland herbeigeschafft werden musste).
Der folgende Speiseplan zeigt, welche ausgefallenen Köstlichkeiten bei einem venezianischen Festmahl zu Lebzeiten Cornaros aufgetischt wurden:
Nach Rosenblüten duftendes Wasser
(zum Waschen der Hände)
Gebäck aus Pinienkernen und Zucker
Kuchen mit Mandeln und Zucker (eine Art Marzipan)
Spargel
Würstchen und Fleischklößchen
Gebratenes Rebhuhn mit Soße
Vergoldete und versilberte ganze Kalbsköpfe
Kapaun und Täubchen sowie Würste, Schinken und
Wildschwein, serviert mit einer dicken Suppe
Ein ganzes gebratenes Schaf in Sauerkirschsoße
Eine Auswahl an gebratenem Geflügel – Turteltaube,
Rebhuhn, Fasan, Wachtel, Gartengrasmücke –,
gewürzt mit Oliven
Hühnchen an Zucker und Rosenwasser
Ganzes gebratenes Spanferkel mit Fleischbrühe
Gebratener Pfau mit diversen Beilagen
Gesüßter, mit Salbei verfeinerter Pudding
In Zucker und Zimt gekochte Quitten an
Pinienkernen und Artischocken
Eine Auswahl an Kompott, gesüßt mit Zucker und Honig
Zehn verschiedene Torten und eine Auswahl
an kandierten Gewürzen
Aus Documenti di Storia Medievale, 400–1492 von Mario Bendiscioli und Adriano Gallia (Milan : Musia, 1970), S. 267 f.
Kurz vor seinem 40. Geburtstag (also rund zehn Jahre, bevor ein italienischer Aristokrat im 15. Jahrhundert damit rechnen musste, demnächst das Zeitliche zu segnen) erkrankte Cornaro schwer. Seine Leibärzte teilten ihm mit, seine einzige Überlebenschance bestünde darin, künftig sehr viel maßvoller zu speisen. Anders als die meisten seiner Zeitgenossen schlug Cornaro den ärztlichen Rat nicht in den Wind. Nachdem er in seiner ersten Lebenshälfte in Luxus und Überfluss geschwelgt hatte, beschloss er, ab sofort einen maßvollen Lebensstil zu pflegen.
Zur damaligen Zeit war das Wissen um den Zusammenhang zwischen Ernährung und Gesundheit noch sehr dürftig, weshalb Cornaro in einem Selbstversuch mit einem neuen Ernährungsplan experimentierte und seine tägliche Nahrungsmenge drastisch reduzierte. Er beschränkte sich von nun an auf 12 Unzen (eine Unze sind knapp 30 Gramm) feste Nahrung pro Tag sowie 14 Unzen Wein (der damals einen so geringen Alkoholgehalt hatte, dass er wie Wasser getrunken wurde).
Cornaros Experiment war nahezu sofort von Erfolg gekrönt. Sein Gesundheitszustand verbesserte sich schlagartig und so nachhaltig, dass er bis ins Alter von 68 Jahren an seinem Ernährungsplan festhielt, bis ihm seine besorgten Ärzte rieten, er möge doch etwas mehr feste und flüssige Nahrung zu sich nehmen, um einer Mangelernährung vorzubeugen. Wieder befolgte er den ärztlichen Rat, und prompt befiel ihn ein leichtes Fieber. Daraufhin beschränkte er sich erneut auf leichte Kost, an die er sich bis zu
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