Blaine McCracken 6: Der Tag Delphi
es Menschen in den USA, die nicht wollen, daß er stirbt. Es gibt Menschen in den USA, denen es gleichgültig ist, ob jemand für diese beiden Kinder und deren Rechte eintritt.«
Dodd schlug mit der Faust auf sein Rednerpult, um seine Worte zu unterstreichen. »Aber ich spreche für sie, und ich spreche für alle anderen Opfer von Verbrechen, die ungesühnt bleiben, weil unser Justizsystem zu überfordert ist, um mit den Fällen nachzukommen, und weil die Polizei sich an zu viele Vorschriften halten muß, um manche Fälle überhaupt zur Anklage bringen zu können. Das System ist außer Kontrolle geraten. Das System stinkt.«
Ein leises Murmeln hob sich unter den Reportern.
»Wir haben die höchste Verbrechensrate in der Welt. Wissen Sie, warum? Weil irgendwo und irgendwann die Dinge in diesem Land auf den Kopf gestellt worden sind. Wir scheren uns mittlerweile mehr um die Rechte der Verbrecher als um die der Opfer. Wir verlieren den Kampf, weil wir auf der falschen Seite spielen. Wir müssen die Dinge ändern. Wir müssen dafür sorgen, daß ein Verbrechen wieder bestraft wird. Wir müssen dafür sorgen, daß unsere Bürger wieder ohne Angst ihre Häuser verlassen können. Die Polizei schafft es allein nicht mehr. Wir brauchen eine nationale Miliz, die mit ihr zusammenarbeitet, eine vom Bund autorisierte und finanzierte Truppe, die die Crackhäuser aushebt und die Gangs zerschlägt.«
»Mr. Dodd?« rief eine Stimme aus dem Halbdunkel der Presseempore.
»Ja. Sie da drüben.«
»Es hat den Anschein, Sir, daß Sie zu einem Vorgehen raten, das gegen mehrere Verfassungszusätze verstößt.«
»Ist das eine Frage, mein Sohn?«
»Nur, wenn Sie darauf zu antworten wünschen.«
»Das wünsche ich«, sagte Dodd und näherte sich dem Fragesteller. »Ich weiß genau, was die Verfassung besagt und garantiert. Ich weiß alles über die Freiheit, auf der dieses Land aufgebaut wurde. Zum Beispiel die Freiheit, des nachts ohne Angst auf die Straße gehen zu können. Die Freiheit, ein Kind auf eine Schule schicken zu können, ohne daß an jeder Straßenecke ein Drogenhändler mit seiner Ware in einem Rucksack steht. Über neunzig Prozent der Gesetze, nach denen wir leben, sind über hundert Jahre alt. Es sind Gesetze für eine andere Zeit, eine andere Epoche. Wir brauchen Gesetze für diese Zeit, für diese Epoche, für das Heute.«
»Könnten Sie uns ein Beispiel nennen?« fragte eine Reporterin.
Dodd drehte sich zu ihr um. »Wir haben Schulen in diesem Land, in denen die Kinder mehr Handfeuerwaffen als Pausenbrote bei sich haben. Ich schlage vor, daß jedes Kind, das mit einer solchen Waffe erwischt wird, für ein Jahr in ein Erziehungsheim eingewiesen wird. Keine Ermahnungen. Keine zweite Chance.«
»Was ist mit den Rechten der Kinder?«
»Was ist mit den Rechten der anderen Kinder auf dieser Schule?« stellte Dodd die Gegenfrage.
»Glauben Sie, daß dieses Land über eine ausreichende Anzahl von Heimen verfügt, um all diese jugendlichen Straftäter aufzunehmen?«
»Ich glaube, mein Sohn, wenn diese Kinder wüßten, welche Strafe sie erwartet, würden sie gar nicht erst straffällig werden.«
»Trotzdem«, fuhr der Reporter fort, »scheinen Sie in vielen Reden zu einem großangelegten Wandel zu raten.«
»Ich rate zu Veränderungen, wo sie nötig sind. Ich rate zu Veränderungen, bevor es zu spät ist.«
»Zu spät wofür?« warf eine neue Stimme ein.
»Zu spät für uns, die wir nicht wollen, daß unsere Gesellschaft von den Billy Ray Polks beherrscht wird. Wann werden wir lernen? Wann werden wir aufhören, uns selbst etwas vorzumachen? Diese Nation nähert sich dem freien Fall, und keiner der Leute hier in Washington scheint sich auch nur einen Dreck darum zu scheren und etwas dagegen zu unternehmen.«
»Warum sind Sie hier?« rief eine junge Reporterin.
»Madam?«
»In Washington, meine ich, Mr. Dodd. Was führt Sie in die Hauptstadt?«
»Ich versuche noch immer, irgend jemanden auf der Pennsylvania Avenue zu finden, der bereit ist, mich anzuhören.«
Die Reporterin stand noch immer. »Bereiten Sie Ihre Präsidentschaftskandidatur vor?«
»Die nächste Wahl findet erst in über zwei Jahren statt. Ich bin mir nicht sicher, ob das Land noch so lange warten kann.«
»Welche Alternative gibt es?« fragte der Korrespondent eines Washingtoner Fernsehsenders.
»Warum sagen Sie mir das nicht?« erwiderte Dodd und ging mit geballten Fäusten auf und ab. »Oder noch besser, warum klären wir das nicht
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