Transfer
Stanislaw Lem:
Transfer
Roman
Deutsch von Maria Kurecka Deutscher Taschenbuch Verlag scanned by readlem
© 1981 der deutschsprachigen Ausgabe
Ich hatte nichts mit, nicht mal einen Mantel. Sie sagten, das wäre nicht nötig- Meinen schwarzen Pulli erlaubten sie mir zu behalten: das geht noch. Und mein Oberhemd habe ich erkämpft. Ich meinte, daß ich es mir nur langsam abgewöhnen würde- Direkt im Durchgang, unter dem Schiffsbauch, wo wir, herumgeschubst, standen, reichte mir Abs seine Hand mit einem verschwörerischen Lächeln: »Bloß vorsichtig…«
Daran hatte ich schon gedacht. Ich zerquetschte ihm nicht die Finger. Ich war vollkommen ruhig. Er wollte noch etwas sagen. Ich ersparte es ihm, indem ich mich umwandte, als hätte ich nichts gemerkt, und die Stufen hinauf ins Innere gelangte. Die Stewardeß führte mich zwischen den Sesselreihen ganz nach vorne. Ich wollte kein Sonderabteil. Ich überlegte, ob man sie davon bereits unterrichtet hätte. Der Sessel öffnete sich geräuschlos. Sie richtete die Lehne, lächelte mich an und ging. Ich setzte mich. Abgrundtiefweiche Kissen, wie überall. Die Lehnen so hoch, daß ich kaum die anderen Passagiere sah. Die Buntheit der Frauenkleider akzeptierte ich bereits widerstandslos. Unsinnigerweise aber verdächtigte ich immer noch die Männer einer Karnevalsverkleidung und hatte im stillen gehofft, einige würden jetzt doch in normalen Anzügen erscheinen - alberner Reflex. Alle setzten sich schnell. Gepäck hatte keiner. Nicht mal eine Aktentasche oder ein Bündel. Die Frauen ebensowenig. Von ihnen schienen auf einmal mehr da zu sein. Vor mir zwei Mulattinnen in papageifar-benen Pelzmäntelchen, federartig aufgeplustert, wahrscheinlich herrschte gerade eine Vogelmode. Weiter ein Ehepaar mit Kind. Nach den blendenden Selenophoren des Bahnsteigs und der Tunnel, nach den unerträglich kraß selbstleuchtenden Straßenpflanzen schien das Licht der konvexen Decke wie ein sanftes Glühen. Ich legte die Hände auf die Knie, da sie irgendwie störten. Alle saßen bereits. Acht Reihen grauer Sessel, ein Hauch Tannenduft, die Stille absterbender Gespräche. Ich erwartete die Startansage, irgendwelche Signale, die Aufforderung zum Anlegen der Schutzgürtel. Nichts geschah. Über die matte Decke begannen undeutliche Schatten zu huschen, etwa wie Papiersilhouetten von Vögeln. >Was, zum Kuckuck, sollen diese Vögel<, dachte ich ratlos. >Ob das was bedeutet?< Ich war wie versteinert in meiner angespannten Aufmerksamkeit, ja nichts Unpassendes zu tun. Das ging bereits seit vier Tagen so. Vom ersten Augenblick an. Stets blieb ich hinter allem, was geschah, zurück, und der ständige Versuch, irgendein Gespräch oder eine Situation zu verstehen, verwandelte meine Spannung allmählich in ein Gefühl, das der Verzweiflung verdammt nahe kam. Ich war fest überzeugt, daß die anderen dasselbe fühlten. Aber wir sprachen nicht darüber, auch nicht, wenn wir allein waren. Es wurde nur über unseren Kraftüberschuß gewitzelt, übrigens mußte man sich wirklich in acht nehmen: am Anfang, als ich aufstehen wollte, sprang ich bis zur Decke, und jedes Ding, das ich in die Hand nahm, kam mir leicht wie Papier vor. Ich lernte dann ziemlich schnell den eigenen Körper zu kontrollieren. Bei der Begrüßung zerquetschte ich keinem mehr die Hand. Das war einfach. Leider aber am unwichtigsten.
Mein Nachbar von links, korpulent, braungebrannt, mit etwas allzu leuchtenden Augen - vielleicht hatte er Kontaktlinsen -, verschwand urplötzlich, weil sich sein Sessel an den Seiten erweiterte: die Lehnen gingen hoch und vereinigten sich dann, indem sie eine Art eierförmiger Kokon bildeten. Noch ein paar Leute verschwanden in derartigen Kabinen. Sie erinnerten an aufgequollene Sarkophage. Was machten sie nun da drin? Auf derartige Erscheinungen stieß ich immerzu und versuchte - wenn sie nicht unmittelbar mit mir zu tun hatten -, sie nicht anzustarren. Interessant: Menschen» die uns - als sie erfahren hatten, was wir eigentlich sind - anglotzten, behandelte ich eher gleichmütig. Ihr Staunen ging mich wenig an, obwohl mir sofort klar wurde, daß kein Funke Bewunderung dahintersteckte. Unangenehm wirkten viel eher die, die uns umsorgten- Mitarbeiter des ADAPT. Den stärksten Widerwillen erweckte Doktor Abs, da er mich behandelte wie der Arzt einen anomalen Patienten, indem er - übrigens recht glaubhaft- vorgab, es mit einem völlig Normalen zu tun zu haben. Wenn dies nicht mehr möglich war, machte er
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