Blaulicht
Nein, es war nicht der Drache, es war ein mittelalterlicher Naturwissenschaftler nebst einem zeitgenössischen, der dem Gloßner jetzt in den Sinn kommt und die ganze schöne, quasi perfekte Erinnerung an all seine Urlaube im Schönseer Land ins Taumeln bringt wie einen Nachtfalter, der sich ein paarmal zu sehr um Lichtnähe bemüht. Der Schmid hatte es ihm noch gesagt, hatte gemeint, dass er dieses Paradiesfleckerl um Herrgottswillen nicht in alle Welt hinausposaunen solle, damit die Steinpfalz nicht zu einer Ostvariante von Garmisch-Partenkirchen werde, damit alles so bleibt, wie es ist: echt und bodennah.
Und er, was hat er gemacht? Hat dem vermaledeiten Häckel so viele Indizien gegeben, dass der sich ohne viel Recherche ausrechnen hat können, wo sich das Haus befindet und auch sofort wusste, dass ein gewisser Doktor Eisenbart – wenn man so will, Kollege in Alchimie – ganz in der Nähe, in Oberviechtach, dereinst ein florierendes Geschäft in Sachen Quacksalberei betrieben hatte, und dass eben diesem Eisenbart in der postmodernen Festspielgesellschaft alljährlich ein festes Platzerl im Oberpfälzer Terminkalender gegeben worden war. Also hatte es sich Häckel nicht nehmen lassen, dem Gloßner seinen Besuch aufzuzwingen, zwei Premierenplatzkarten und eine Kollektion diverser Fläschchen im Gepäck, wobei die Platzkarten noch zu Gloßners schönen, die Fläschchen aber zu einer absolut typischen, also einer seiner vielen bösen Häckel-Erinnerungen, zählen.
In der Küche waren sie gesessen, bis weit nach Mitternacht. Häckel hatte behauptet, dass er die ultimative Lösung gegen jede Form von Erschöpfung, also auch gegen eine natürliche, vollkommen normale Müdigkeit nach zwei Uhr nachts, herstellen könne. Er hatte Gloßners diesbezügliche Einwände ebenso überhört wie dessen demonstrative Gähner und begonnen, in einer der zahlreichen Thermoskannen Becherovka, grünen Tee, ein jüngst erstandenes Viertelliterfläschchen original Eisenbart-Elixir sowie etwas aus einer bräunlich schillernden Flasche, das er mit »ho ho, hier kommt mein eigener Eisenbart« oder so ähnlich aus einer speckigen Aktentasche zog, mit Hilfe eines Miniaturquirls zu verrühren. Obwohl die Mixtur farblich an eine im Regen zertretene Nacktschnecke erinnerte, hatte Gloßner sich breitschlagen lassen, davon zu probieren, und um die Wirksamkeit zu prüfen, gleich noch einmal. Der Rest der Nacht war überaus farbenfroh und hatte viel mit Pudeln zu tun, die sich mit der Zeit in grünlich schimmernde Drachenteufel verwandelten oder in Pathologen in beigeblau karierten Holzfällerhemden. Der Morgen war schmerzhaft.
Nach diesem Erlebnis hatte Gloßner sich fest vorgenommen, niemals wieder irgendwen in sein kleines Paradies einzuladen, stattdessen die Ruhe zu genießen, die Landschaft und das hervorragende Rebhuhn-Zoigl aus Eslarn. Und trotzdem freut er sich jetzt, dass in wenigen Stunden Kaschas auberginefarbener Fiat Spider die Auffahrt zu seinem Haus hochfahren wird, um für eine Weile neben seiner DS zu parken.
*
Als Zoe Kandeloros heute zum zweiten Mal an diesem Tag durch die Sicherheitsschleuse des Präsidiums spaziert, registriert sie mit Freude, dass der diensthabende Wachbeamte sie offenbar wiedererkennt, denn er grüßt sie freundlich. Und obwohl sie erst den zweiten Tag hier arbeitet, fühlt sie sich in diesem Augenblick wie angekommen an einem Ort, der wie für sie geschaffen ist – angekommen und angenommen, obwohl Martin Kalz es ihr nicht gerade leicht macht, sich heimisch zu fühlen.
Zoe ist sich völlig darüber im Klaren, dass es keine Nettigkeit von ihm ist, geschweige denn ein Vertrauensbeweis, ihr die Befragung der kleinen Schwester von Sandra Kovács zu überlassen. Kalz hat ganz einfach nur Wichtigeres zu tun, als sich um einen einfachen Fall von gefährlicher Körperverletzung zu kümmern, wobei er bei der Verfolgung organisierter Kriminalität mutmaßlich auch seine Karriereleiter im Blick hat.
Es ist stickig im Büro. Die Luft fühlt sich heiß und matschig an wie ein verkochter Kartoffelkloß, und mit Sicherheit blieben Teile davon am Messer kleben, versuchte man, ein Stück davon abzuschneiden. Aus dem Büro schräg gegenüber hört sie Mattusch leise schimpfen, neben einer ganzen Reihe von gängigen Flüchen kommt zwischendrin erstaunlicherweise auch mehrfach eine »verdammte Eule« vor. Sie kann sich gut vorstellen, in welcher Zwickmühle der Dezernatsleiter momentan steckt. Nicht erst seit der
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