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Blaulicht

Blaulicht

Titel: Blaulicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nacke
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Ausbildung weiß sie, wie eindeutig die Vorgehensweise in ähnlich gelagerten Fällen ist: Tatverdächtige mit instabilem körperlichem oder geistigem Zustand gehören in polizeiliche Sicherheitsverwahrung, also keinesfalls in eine öffentliche, sondern in eine forensische Klinik, denn nur in einer solchen Institution sind die Gegebenheiten so, dass man von einer sicheren Verwahrung sprechen kann. Und offenbar hat Dr. Billmeier exakt dasselbe Problem, denn bei ihrem Telefonat hatte er mehrfach von einem unhaltbaren Zustand gesprochen, allerdings auch auf das ernstzunehmende Transportrisiko bei seiner Patientin hingewiesen, er befand sich also in einer ähnlich verzwickten Situation wie der Dezernatsleiter, wenn auch vor einem anderen Hintergrund. Dann hatte er noch etwas von einer Station 39 E und dem vermaledeiten Baustellenchaos gemurmelt und aufgelegt, bevor Zoe nachfragen konnte, was genau er damit meinte.
    Zwei Dinge gehen Zoe Kandeloros durch den Kopf, und es ist sicherlich der Hitze geschuldet, dass diese beiden Dinge so gar nichts miteinander zu tun haben. Erstens: Sie ist heute Abend auf die Geburtstagsfeier ihrer Tante eingeladen, die im Restaurant ihrer Eltern stattfinden wird, und hat noch immer kein Geschenk. Zweitens: dieser Schulleiter. Irgendwie wird sie das Gefühl nicht los, dass er um den heißen Brei herumgeredet hat, als es um Gerlach ging.
    Sie hat noch eine knappe halbe Stunde, bis die kleine Kovács kommt. Genug Zeit, um ein wenig über Wolfgang Gerlach zu recherchieren. Was hatte Mattusch heute Vormittag bei der Dienstbesprechung gesagt? – Sie sollten schauen, ob es an der Schule irgendetwas wie Mobbing oder Missbrauch im Zusammenhang mit Gerlach gäbe.
    Mobbing oder Missbrauch. Das könnte erklären, warum der Frauenknecht so reagiert hat, wie er reagiert hat. Es dürfte also nicht schaden zu überprüfen, ob Gerlach irgendwann einmal in so eine Geschichte verwickelt war. Zoe blättert in der Telefonliste der einzelnen Dienststellen, ihr rechter Zeigefinger fährt über Kolonnen von Namen und Nummern, bis er schließlich unter einem Namen verharrt und seinem Kollegen an der linken Hand signalisiert, eine Nummer zu wählen. Vier Mal tutet es am anderen Ende der Leitung, dann wird abgehoben.
    »Sittendezernat, Andreopolus«, tönt ein voller Bass durch die Leitung.
    »Morddezernat, Kandeloros«, antwortet eine junge Frauenstimme und fügt mit hellem Lachen hinzu: »Jassu, erster und einziger Lieblingsschwager!«
     
    *
     
    Leonies Abend war die Hölle gewesen. Kurz nachdem dieser Kommissar gegangen war, kam ihr Stiefvater nach Hause, ungewöhnlich früh für einen Dienstag, wahrscheinlich hatte ihn ihre Mutter per Handy zu sich gerufen. Normalerweise kommt er dienstags nie vor acht, halb neun – Leonie weiß nicht, weshalb, und es interessiert sie auch nicht. Sie weiß nur, dass es immer schwieriger ist, wenn beide zusammen sind. Einer allein ist meistens einigermaßen zu ertragen, aber wenn ihre Eltern gemeinsam auftreten, werden sie zu etwas Bedrohlichem, zu einer Macht, die nichts neben sich existieren lässt. Als Sandra noch bei ihnen gewohnt hat, war es besser. Ihre große Schwester war ihre Verbündete gewesen, zwar auch machtlos gegen die Elementargewalt von Mutter und Vater, aber wenigstens gab es jemanden, der einem zuhörte, der wusste, was in einem vorgeht, der all die Gefühle kannte – die Angst, die Ohnmacht, die wütende Verzweiflung – und der vor allem zu einem ins Bett gekrabbelt kam, wenn man wieder einmal nicht schlafen konnte, wegen der furchtbaren Geräusche aus dem Erdgeschoss, aus der Küche mit den falschen Delfter Fliesen.
    Und jetzt war es nicht nur schrecklich, allein zu sein, ohne Schwester, ohne Vertraute und Verbündete, nein – alles war noch viel schlimmer als vorher. Ihre Eltern hatten sich seit Sandras Verschwinden noch einmal gesteigert in dem, was sie sowieso schon im Übermaß waren, und Leonie fungierte seit Jahren als kleiner wackeliger Blitzableiter in einem gewaltigen Dauergewitter, das sich mal mehr, mal weniger heftig über ihr entlud.
    Ihre Mutter hatte sie aufs Zimmer geschickt, nachdem sie den Polizisten rausgeschmissen hatte. Als ihr Stiefvater da war – er hatte hörbar schlechte Laune, die aus dem Entree über die Treppe und durch die Tür in ihr Zimmer gekrochen war – rief ihre Mutter sie zu sich.
    »Leonie, kommst du mal bitte!«
    Leonie kennt diesen ganz besonderen Ton in der Stimme ihrer Mutter. Es ist ein spitzer Ton, der sich

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