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Blaulicht

Blaulicht

Titel: Blaulicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nacke
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schrill wie geschmiedetes Metall und ebenso scharfkantig durch die Luft bohrt. Das »Bitte« in dem kurzen Satz klingt dadurch seltsam hell, als würde es sich nach oben biegen. Sie weiß nach all den endlosen Jahren ganz genau, wie ihre Mutter sich innerlich anfühlt, es tut weh, dieser Spannung nachzuspüren.
    Sie wusste, als sie diesen ganz bestimmten Ton hörte, dass ihre Mutter ein Glas Gin Tonic vor sich auf der gläsernen Tischplatte stehen haben würde, und in dem Aschenbecher aus hellgrauem Marmor viele halbgerauchte Zigarettenstummel liegen würden, an deren Filter eine dicke Schicht aus grellrotem Lippenstift klebt. Sie wusste auch, dass man sie jetzt ins Kreuzverhör nehmen würde, dass man sie wieder und wieder fragen würde, ob sie wirklich nicht wüsste, wo Sandra steckt, ob sie tatsächlich keinerlei Kontakt mehr zu ihr hätte. Sie hatte vorhergesehen, dass ihr Stiefvater irgendwann aufstehen und zu schreien anfangen würde, dass in seinem Gebrüll wie immer die Worte   Internat oder gleich Heim   vorkommen würden, dass ihre Mutter zurückschreien und zu heulen anfangen würde. Und sie wusste, dass dies wieder mal eine der vielen Nächte sein würde, in denen sie das grauenhafte   Bum Bum Bum   auf den Fliesen hören würde, das sie ihr Leben lang und bis in ihre Träume hinein verfolgen wird.
    Und jetzt sagt ihr diese kleine dunkelhaarige Frau, sie brauche keine Angst zu haben!
     
    *
     
    Dr. Billmeier hatte sich noch einmal vergewissert, dass die Daten auf dem Patientenblatt aktuell waren. Er hatte sämtliche Werte überprüft, persönlich noch einmal mit dem Labor Rücksprache gehalten und sich anschließend, wie ausgemacht, beim Dezernat für Gewaltverbrechen gemeldet.
    Es sei zwar gelungen, den körperlichen Zustand von Sandra Kovács vorläufig zu stabilisieren, so sein Resümee, doch sei die Patientin noch immer extrem geschwächt vom erlittenen Kreislaufzusammenbruch als Folge der starken Hitzeeinwirkung in Kombination mit einer allgemeinen Dehydrierung. Außerdem sei da noch die Unberechenbarkeit der Droge.
    »Und dann gibt es noch eine Sache, über die wir uns absolut nicht im Klaren sind. Die junge Frau ist bislang völlig apathisch und unansprechbar. Normalerweise würde ich sagen, sie steht unter Schock. Aber es könnte eben auch von der Droge herrühren, die sie konsumiert hat. Leider wissen wir immer noch zu wenig über die genauen Schäden, die sie im Körper anrichtet. Deshalb kann ich Ihnen im Augenblick auch noch keine Prognose geben, wann Frau Kovács vernehmungsfähig sein wird. Ich wäre froh, wenn sie überhaupt einmal ein Wort von sich gäbe. Auf jeden Fall wird sie noch in der nächsten Stunde auf die Station 39 E verlegt, das ist, wie Sie wissen, unsere toxikologische Intensivstation. Das hätte sowieso schon viel früher passieren müssen, aber die Baustelle …!«
    Nachdem er aufgelegt hat, geht er noch einmal den Gang hinunter, an dessen Ende ein Stuhl steht, auf dem ein Polizeibeamter in Zivil sitzt und mit dem Finger Muster in die Wasserperlen auf einer Coladose zeichnet.
    Hinter der Glasscheibe sieht Billmeier die bleiche junge Frau in einem Krankenhausnachthemd auf dem Bett sitzen. Ihre schwarzen, kurz geschorenen Haare wirken wie ein Fremdkörper in all dem Weiß, das sie umgibt – an ein gerupftes Aschenputtel, muss er denken, ein gerupftes Aschenputtel, das von einer ungeheuren Angst wie plastiniert ist – wie hieß dieser Kerl noch einmal, der Leichen mit Kunstharz konserviert und zu Schauzwecken präpariert hat? In Leipzig hatte er die Ausstellung gesehen, nicht nur seine Frau hatte einen Wutanfall bekommen.
    Stocksteif sitzt sie da auf dem metallenen Bett, angespannt – ein Beutetier, das spürt, wenn ein Räuber sich langsam und unerbittlich heranschleicht, wittert, lauscht. Sie starrt auf einen Punkt im Nirgendwo, vielleicht aber auch auf den Kunstdruck an der Wand gegenüber – ein Haus, eine kleine Baumgruppe im Frühsommer. Vorhin, als er ihren Puls gemessen hat, hatte er sich zwischen ihren Blick und dieses Bild gestellt, hatte sich davorgeschoben, als wäre er der Vorhang zu einer Bühne. Sie hatte den Oberkörper ein wenig nach hinten geneigt und ihn angesehen, dabei leise gestöhnt. Er war für einen schrecklich langen Moment in zwei Bergseen getaucht, in ein Meer aus eisstarrer Traurigkeit – aber das hat er der Kommissarin mit dem griechischen Namen natürlich nicht erzählt.
     
    *
     
    »Magst du ein Wasser oder irgendetwas anderes zu

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