Blaulicht
schön.« Mattusch markiert die linke obere Ecke des Dienstags, der in seinem aufgeschlagenen Kalendarium vor ihm liegt, mit einem Kugelschreiberstrich und produziert ironische Höflichkeit. »Lieber Kalz, Sie haben mich zwar nicht gefragt, was es gibt, aber ich werd’s Ihnen trotzdem sagen. Wenn Sie sich dazu bitte in mein Büro bemühen wollten? Und zwar sofort. Es ist dringend.«
Eine Minute später steht Kalz vor dem Schreibtisch seines Vorgesetzten und schüttelt einer gewissen Zoe Kandeloros die Hand.
»Kommissarin Kandeloros beginnt heute ihren Dienst hier im K1. Auch Sie werden sie bestimmt herzlich willkommen heißen und zusammen mit den Kollegen dafür sorgen, dass sie sich schnell zurechtfindet und sich wohl bei uns fühlt.«
Ob das die dringende Angelegenheit sei? fragt Kalz.
»Vor zwei Stunden hat eine junge Frau«, Mattusch greift nach einem Stück Papier, »Sandra Kovács heißt sie, mitten auf der Straße einen Lehrer vom Haßler-Gymnasium niedergestochen. Der Mann wurde mit lebensgefährlichen Verletzungen ins Nordklinikum gebracht. Die Kovács erlitt nach der Tat einen Kreislaufzusammenbruch und ist ebenfalls im Nordklinikum.«
»Aber die zwei Tschechen laufen noch frei herum, und es zeichnet sich allmählich ab, dass wir es hier mit einem Bandenkrieg zu tun haben. Das in der Disco am Kohlenhof war keine Schlägerei wegen einem Mädel. Da sollte einer ausgeschaltet werden, der …«
Mattusch schneidet ihm das Wort ab.
»An der Tschechengeschichte arbeiten Sie schließlich nicht allein. Da sind Sie auch mal ein, zwei Tage lang entbehrlich. Länger brauchen Sie vielleicht gar nicht, um gemeinsam mit Ihrer charmanten neuen Assistentin rauszukriegen, was hinter dieser Messerattacke steckt.«
Die zierliche Griechin lächelt zaghaft.
»Frau Kandeloros war schon vor Ort und wird die Zeugenprotokolle fertigstellen. Sie, Kollege Kalz, fahren jetzt zu der Adresse, unter der die Kovács gemeldet ist. Heimerichstraße, gleich hinter dem Klinikum, die Hausnummer steht auf dem Zettel, das ist die Elternhausadresse.«
*
Dieser Tag hatte schon miserabel begonnen. Gleich nach dem Aufstehen hatte sie sich im Badezimmer einen Nagel abgebrochen, eine halbe Stunde später rief die Kosmetikerin an, um den Termin für heute wegen eines familiären Trauerfalls abzusagen und gegen Mittag war dann auch noch die Klimaanlage zusammengebrochen. Dreimal hatte sie bei der Servicefirma anrufen müssen, um endlich einen halbwegs kompetenten Ansprechpartner an der Strippe zu haben, der ihr allerdings auch nur sagen konnte, dass alle Monteure im Einsatz seien und man frühestens Ende der Woche, wahrscheinlicher aber erst Anfang der kommenden einen Mann vorbeischicken könne. Eine Unverschämtheit sei das, hatte Barbara Kovács in den Hörer gebrüllt, und dass man gute Kunden mit so einem lausigen Service ganz schnell verlieren kann, und auch dass man dem Hersteller der Klimaanlagen beim Dinner im Golf-clubrestaurant gern einmal stecken wird, auf was für Dilettanten im Wartungsbereich er sich da eingelassen hat. Keine Stunde später stand ein vollkommen verschwitzter Monteur im blauen Overall vor der Tür, was Barbara Kovács lediglich mit einem lakonischen »wurde aber auch Zeit« kommentierte.
Natürlich bekam der junge Mann ein fürstliches Trinkgeld, als die Klimaanlage nach zwei Stunden und zwei Fahrten quer durch die glühend heiße Stadt wieder funktionierte, und wahrscheinlich hat er vor Freude über den nagelneuen Fünfzigeuroschein nicht einmal bemerkt, dass er nun zum Kosmos von Barbara und Gerhard Kovács gehört, in dem alles und jeder käuflich ist und nur eine einzige Daseinsberechtigung hat: den Kosmos von Barbara und Gerhard Kovács zu erhalten.
Jetzt, wo die Temperaturen sich langsam wieder auf ein erträgliches Maß reduzieren, will Barbara die Zeit nutzen, bevor ihre jüngere Tochter nach Hause kommt, um sich im Internet über die neuesten Kursentwicklungen an der Börse zu informieren und vielleicht noch den Flug nach Paris und ein Zimmer im Four Seasons zu buchen. Sie hat ihren Laptop gerade hochgefahren, als es an der Tür klingelt. Eine halbe Minute später steht sie einem athletischen Mann mit stahlgrauen Augen gegenüber, dessen offensichtlich maßgeschneiderter Anzug trotz der barbarischen Temperaturen an diesem späten Nachmittag so tadellos sitzt, als käme er frisch aus der Reinigung. Trotzdem strahlt er etwas Beamtiges aus, etwas, das Ärger mit sich bringt und einen
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